Sonntag, 25. März 2018

Datenschutz und Datensicherheit werden auf die Lehrer abgewälzt

Versagen der Schulträger, des Landes und des Bundes


Dass wir in Deutschland die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber so was von verschlafen haben, zeigt sich insbesondere an den Grundschulen.

Frage doch mal die Lehrer Deiner Kinder, wie sie persönlich (nicht die Schulkinder) IT-technisch ausgestattet sind. Du wirst meistens zu hören bekommen, dass sie weder einen eigenen Büroarbeitsplatz noch einen von der Schule gestellten Laptop zur Verfügung haben.

Also arbeiten viele Lehrer notgedrungen zu Hause auf privaten Geräten (PC, Laptop, Tablet), um z.B. Halbjahres- und Jahreszeugnisse, Abschlusszeugnisse, Gutachten, Elternbriefe, Präsentationen für Elternabende, etc. zu erstellen. Und natürlich versenden sie auch eMails an Eltern, um z.B. Gesprächstermine zu vereinbaren, Protokolle von Elternabenden zu versenden oder per Elternbrief über anstehende Schultermine zu informieren.

Für ziemlich viel Aufregung sorgt derzeit ein vom NRW-Schulministerium an die Lehrer verschicktes Formular:
Genehmigung 
für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten 
aus der Schule 
durch Lehrkräfte 
zu dienstlichen Zwecken 
auf privaten ADV-Anlagen von Lehrkräften 

Du findest das Formular hier: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Datenschutz/DienstanweisungAnlage.pdf

ADV ist die Abkürzung für automatisierte Datenverarbeitung, und die Anlagen, von denen im Formular die Rede ist, sind PCs, Laptops, Tablets und andere digitale Endgeräte.

Das Formular ist Anlage zum Runderlass des Ministeriums für Schule und Bildung vom 19.01.2018 (222-2.06.08.03.01-17491):
Dienstanweisung
für die automatisierte Verarbeitung
von personenbezogenen Daten in der Schule

Du findest die Dienstanweisung hier: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Datenschutz/DienstanweisungRdErl.pdf

In einer Pressemitteilung der Medienberatung NRW (https://app-mb.lvr.de/MedienBeratung/news.aspx?NNr=8642) heißt es u.a., dass das oben genannte Formular gewährleistet, dass Daten aus dem dienstlichen Kontext sicher auf Privatgeräten verarbeitet werden.

Auf der ersten Seite des Formular steht, dass die Erklärung dafür sorgt, dass die Lehrkräfte rechtssicher mit den Daten ihrer Schülerinnen und Schülern auf ihren privaten Endgeräten arbeiten können.

Fakt ist aber, dass das Formular von den Lehrerinnen und Lehrern eine rechtsverbindliche Unterschrift dafür verlangt, dass sie u.a. durch geeignete organisatorische und technische Maßnahmen die Datensicherheit gewährleisten.

Hier ein Auszug der zwingend/ verpflichtend umzusetzenden Maßnahmen:
  • Zugriffsschutz der eingesetzten privaten Endgeräte durch ein adäquates Verfahren (z.B. ein ausreichend sicheres Passwort)
  • Automatische Sperre der privaten Endgeräte nach maximal 15 Minuten Inaktivität
  • Anlegen eines eigenen Benutzerkontos für dienstliche Zwecke (sofern technisch möglich)
  • Verschlüsselung der gespeicherten Daten durch ein geeignetes Verfahren z.B. bei externen Datenträgern
  • Einsatz eines (Betriebs-)Systems, für das aktuelle Sicherheitsupdates verfügbar sind
  • Einsatz aktueller Virenschutz-Software
  • Einsatz einer Firewall
  • regelmäßige Aktualisierung der (Betriebs-)Systeme
  • regelmäßige Aktualisierung eingesetzter Anwendungen (z.B. Virendefinitionen)
  • regelmäßige Backups der verarbeiteten Daten
Unter Punkt 4 "Weitere Vorgaben" im Teil B "Datensicherheit" heißt es weiter:
"Backups der in Teil A genannten Daten in Cloudspeicherdienste sowie die Verarbeitung dieser Daten in cloudbasierten Anwendungen, zu denen zwischen Schulleiterin oder Schulleiter und Anbieter kein gültiges Vertragsverhältnis zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Auftrag besteht, sind nicht zulässig. Darauf ist insbesondere bei Systembackups von mobilen Endgeräten zu achten und die betreffenden Daten zwingend bei solchen Backups auszuschließen.

Bei Nutzung von Schnittstellen zu schulischer IT-Infrastruktur, die einen direkten Zugriff digitaler Endgeräte auf personenbezogene Daten aus der Schule erlauben (z. B. IMAP für E-Mail, CalDAV für Kalender, CardDAV für Adressdaten oder WebDAV für Dateimanagementsysteme), ist sicherzustellen, dass andere auf dem angebundenen Endgerät installierte Anwendungen keinen Zugriff auf diese Daten haben können. (Beispiel: Zugriff von WhatsApp auf das Adressbuch). Im Zweifelsfall ist von der Nutzung der jeweiligen Schnittstelle oder der Anwendung abzusehen."

Die Lehrinnen und Lehrer wären doch mit dem Klammeraffen gepudert, wenn sie eine solche rechtsverbindliche Erklärung unterschreiben würden - mit allen rechtlichen (Haftungs-)Folgen, wenn da was schief läuft.

Frage dich doch mal selber, ob Du alle - wirklich alle - diese Vorgaben als Otto-Normalnutzer geregelt bekämst, also z.B. insbesondere:

  • Verschlüsselung der gespeicherten Daten durch ein geeignetes Verfahren z.B. bei externen Datenträgern
  • Ausschluß der schutzwürdigen Daten bei Systembackups auf mobilen Endgeräten
  • Sicherstellung, dass auf dem Endgerät installierte Anwendungen keinen Zugriff auf Schnittstellendaten schulischer IT-Infrastruktur haben
Das Formular zeigt doch das ganze Ausmaß des Versagens der kommunalen Schulträger, des Landes und des Bundes in Sachen Digitalisierung und damit auch in Sachen Datenschutz/ Datensicherheit.

Jedem IT-Sicherheitsbeauftragten/ Datenschutzbeauftragten eines Unternehmens würden sich die Fußnägel hochklappen, wenn das Unternehmen so mit Kunden- und Mitarbeiterdaten umgehen würde - sprich in die alleinige Verantwortung des zu Hause auf einem privaten Endgerät arbeitenden Mitarbeiters legen würde - und die "Absicherung" nur darin bestünde, sich vom Mitarbeiter bestätigen zu lassen, dass er ja alle erforderlichen Schutzmaßnahmen umsetzt und einhält. Prost Mahlzeit!

Nein, ein Unternehmen würde in diesem Fall geradezu grob fahrlässig handeln. Es ist ureigenes Interesse eines Unternehmens, Datensicherheit und Datenschutz als Hauptaufgaben des Unternehmens zu verstehen. Mal ganz abgesehen davon, dass mit Geltung der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) ab dem 25.05.2018 Datenschutzverstöße Unternehmen bis zu 20 Mio. € kosten können - oder, sofern höher, bis zu 4% der weltweiten Umsätze.

Was für ein Unternehmen gilt, muss auch für die kommunalen Schulträger gelten. Datenschutz und Datensicherheit sind ureigene Aufgaben des Schulträgers (bzw. des Landes und des Bundes) und dürfen nicht an die Lehrer delegiert werden.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Datenschutz und Datensicherheit auch für die zu Hause arbeitenden Lehrer zu gewährleisten, z.B.:
  • Ausstattung mit einem Schullaptop, nach einheitlichem Standard mit allen erforderlichen Komponenten ausgestattet, z.B.
    • Betriebssystem, inkl. automatische Aktualisierung
    • Virensoftware, inkl. automatische Aktualisierung
    • Verschlüsselung sämtlicher Daten
  • Zugriff auf Schulserver über Virtual Private Netork (VPN) mit 2-Faktor-Authentifizierung

Einstweilen kann man den Lehrerinnen und Lehrern nur empfehlen: Kehrt zu Papier und Bleistift,  zur Schreibmaschine oder zur Schiefertafel zurück - "Back to the roots".

Montag, 19. März 2018

Verbot von Kreditaufnahmen für Investitionen

Investitionen ja, aber nicht zu jedem Preis


Viele Kommunen in NRW nehmen auch in 2018 Kredite zur Finanzierung von Investitionen auf. So veranschlagt die Gemeinde Wachtberg im Entwurf der Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2018 Kredite i.H.v. rd. 7,8 Mio. € (Stand 19.03.18).

Darf sie das eigentlich noch?

§ 86 "Kredite" Absatz 1 der Gemeindeordnung (GO) NRW bestimmt:
"Kredite dürfen nur für Investitionen unter der Voraussetzung des § 77 Abs. 3 und zur Umschuldung aufgenommen werden. Die daraus übernommenen Verpflichtungen müssen mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde in Einklang stehen."

"Müssen" ist eine klare Ansage, aber was ist mit "dauernde Leistungsfähigkeit" und "im Einklang stehen" gemeint?

In der Fachliteratur kannst Du lesen, dass es sich bei dem Begriff "dauernde Leistungsfähigkeit" um einen so genannten "unbestimmten Rechtsbegriff" handelt. Der Gesetzgeber hat z.B. nicht konkretisiert, unter welchen Bedingungen die "dauernde Leistungsfähigkeit" gegeben ist. Und damit ist auch nicht konkretisiert, unter welchen Bedingungen die "übernommenen Verpflichtungen mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde in Einklang stehen" - und wann eben nicht.

Dann lass uns das mal konkretisieren:

Es geht um "übernommene Verpflichtungen aus Kreditaufnahmen", also um die Zahlung von Zinsen und Tilgungsraten.

Wir können also §86 Absatz 1 GO NRW auch wie folgt als Bedingung formulieren:
"Eine Kreditaufnahme für Investitionen ist möglich, wenn die in Folge der Kreditaufnahme entstehenden finanziellen Belastungen mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde in Einklang stehen".

In dieser Bedingung steckt der Grundgedanke allen Haushaltsrechts (= Grundsatzvorschrift), dass die Gemeinde ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen hat, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist (§ 75 "Allgemeine Haushaltsgrundsätze" Absatz 1 Satz 1 der Gemeindeordnung (GO) NRW).

Stetige Erfüllung bedeutet, dass die Aufgabensicherung nicht nur gegenwärtig, also im aktuellen Haushaltsjahr, gesichert sein muss, sondern auch in allen künftigen Haushaltsjahren.

Gemäß § 75 Absatz 2 GO NRW muss der Haushalt zudem in jedem Jahr in Planung und Rechnung ausgeglichen sein. Er ist ausgeglichen, wenn der Gesamtbetrag der Erträge die Höhe des Gesamtbetrages der Aufwendungen erreicht oder übersteigt.

Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs hat zentrale Bedeutung für die kommunale Haushaltswirtschaft.

Letztlich kann eine stetige Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben - und damit die dauernde Leistungsfähigkeit - nur bei einem nachhaltig ausgeglichenen Haushalt erfüllt werden.

Ein weiterer Haushaltsgrundsatz ist vom Gesetzgeber in § 75 Absatz 6 GO NRW festgelegt worden:
"Die Liquidität der Gemeinde einschließlich der Finanzierung der Investitionen ist sicherzustellen."

Auch dieser Haushaltsgrundsatz ist Ausfluss der stetigen Aufgabenerfüllung und wird u.a. in § 89 Absatz 1 GO NRW konkretisiert:
"Die Gemeinde hat ihre Zahlungsfähigkeit durch eine angemessene Liquiditätsplanung sicherzustellen."

Wir können also festhalten:
  • Die dauernde Leistungsfähigkeit ist gegeben, wenn der Haushalt nachhaltig ausgeglichen und die Liquidität nachhaltig sichergestellt ist. 
  • Ergo ist eine Kreditaufnahme dann möglich, sprich im Einklang mit der dauernden Leistungsfähigkeit, wenn die dauernde Leistungsfähigkeit auch durch die in Folge der Kreditaufnahme entstehenden finanziellen Belastungen weiterhin gegeben ist.
Wenn aber eine Gemeinde seit Jahren gemäß § 75 Absatz 2 GO NRW keinen ausgeglichen Haushalt mehr hat und seit Jahren ihre Liquidität nur durch Aufnahme weiterer Kassenkredite erreicht, dann ist die dauernde Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Und somit ist es der Gemeinde eigentlich untersagt, weitere Kredite für Investitionen aufzunehmen.

Wie die Beiträge "Viele Gemeinden in NRW leben über ihre Verhältnisse" und "Irrtümer aus dem NKF" am Beispiel der Gemeinde Wachtberg zeigen, war und ist keiner der Haushalte 2010 bis 2021 in Rechnung und Planung ausgeglichen. Und seit 2009 weist der Saldo aus laufender Verwaltungstätigkeit in der Finanzrechnung bzw. im Finanzplan bis auf die Planjahre 2020 und 2021 jedes Jahr ein Liquiditätsdefizit aus.

Ergo dürfte die Gemeinde Wachtberg gemäß § 86 Absatz 1 GO NRW für Investitionen eigentlich keine Kredite mehr aufnehmen.

Sonntag, 18. März 2018

Viele Gemeinden in NRW leben über ihre Verhältnisse

Das Beispiel der Gemeinde Wachtberg zeigt die ganze Misere.


Nicht "über die Verhältnisse zu leben" heißt im Privathaushalt, mit den laufenden Einnahmen (Gehalt, Kindergeld, usw.) in der Lage zu sein, die laufenden Ausgaben (Miete, Lebensmittel, Versicherungen,...) zu stemmen.  Zur kurzfristigen Überbrückung von finanziellen Engpässen hilft ein ggf. eingeräumter Dispokredit (= genehmigte Überziehung). Der Dispo beträgt i.d.R. das 2- bis 3-fache der Höhe der monatlichen Einkünfte. Und falls Kredite aufgenommen wurden, muss am Ende noch so viel übrig bleiben, dass der Schuldendienst für die aufgenommenen Kredite beglichen werden kann.

Problematisch wird es für diejenigen Verbraucher, die den Dispo nicht nur für kurzfristige Kontoüberziehungen nutzen, sondern die schlicht ihren laufenden Lebensunterhalt auf den Dispo abstellen, sprich ihr Konto zwei Drittel des Jahres oder mehr überziehen, ggf. sogar über den Dispo hinaus (= nicht geduldete Überziehung).

Die Folgen: Immer mehr und höhere Zinsen sowie drohende Kündigung des Kontos. Viele suchen dann ihr Heil in der Umschuldung in Raten- oder Rahmenkredite - und tappen schwuppdiwupp in die Schuldenfalle (Banken-intern Kreditspirale genannt), denn Dispo-, Privat- und/ oder Rahmenkredite lösen nicht das Grundproblem dieser Verbraucher: sie leben über ihre Verhältnisse.

Gerade und insbesondere von einer Gemeinde muss erwartet werden können, dass sie nicht über ihre Verhältnisse lebt, schließlich finanzieren wir alle mit unseren Steuern und Gebühren den laufenden Lebensunterhalt der Gemeinde.

Die Gemeinde muss also mit diesen Einnahmen ihren laufenden Lebensunterhalt, d.h. die laufende Verwaltungstätigkeit gestemmt bekommen.

§ 75 "Allgemeine Haushaltsgrundsätze" Absatz 1 Gemeindeordnung (GO) NRW bestimmt:
"Die Gemeinde hat ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist.  Die Haushaltswirtschaft ist wirtschaftlich, effizient und sparsam zu führen. Dabei ist den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen."

Wird diese Erwartungshaltung von den Gemeinden in NRW erfüllt?

Schauen wir uns das am Beispiel der Jahresabschlüsse 2007 bis 2015 bzw. des Haushaltsplanentwurfs 2018 der Gemeinde Wachtberg an. Du findest die Jahresabschlüsse, in dem Du bei Google nach "Jahresabschluss 2007 Wachtberg", "Jahresabschluss 2008 Wachtberg", etc. suchst. Den Haushaltsplanentwurf 2018 (Stand 17.03.18) findest Du hier:  http://wachtberg.de/cms127/s/a/hh/

Zunächst schauen wir uns in den Finanzrechnungen die Ein- und Auszahlungen sowie den Saldo (= Cash Flow) aus laufender Verwaltungstätigkeit an:

Stichtag/
Haushaltsjahr
EinzahlungenAuszahlungenSaldo (Cash Flow)Saldo, kumuliert
31.12.200721.741.966 €21.402.521 €339.446 €339.446 €
31.12.200824.931.847 €23.716.790 €1.215.057 €1.554.503 €
31.12.200923.831.313 €25.231.855 €-1.400.542 €153.961 €
31.12.201024.927.873 €25.954.183 €-1.026.310 €-872.350 €
31.12.201126.050.528 €26.297.053 €-246.525 €-1.118.875 €
31.12.201227.129.123 €27.330.348 €-201.225 €-1.320.100 €
31.12.201325.369.434 €27.508.044 €-2.138.610 €-3.458.710 €
31.12.201427.412.189 €28.116.451 €-704.262 €-4.162.971 €
31.12.201529.955.019 €30.011.508 €-56.489 €-4.219.460 €
201631.777.229 €33.336.600 €-1.559.371 €-5.778.831 €
201734.066.267 €34.907.273 €-841.006 €-6.619.837 €
201834.622.393 €34.972.162 €-349.769 €-6.969.606 €
201935.343.726 €36.225.091 €-881.365 €-7.850.971 €
202036.292.188 €36.255.143 €37.045 €-7.813.926 €
202137.430.285 €36.856.126 €574.159 €-7.239.767 €

Wenn Du im Privathaushalt permanent mehr ausgibst als Du einnimmst, dann rutscht Dein Konto ständig ins Minus - Du lebst über Deine Verhältnisse.

Genau das passiert in der Gemeinde Wachtberg. Von 2009 bis 2019 sind die Auszahlungen aus der laufenden Verwaltungstätigkeit (z.B. für Personal, Sach- und Dienstleistungen, Zinsen) höher als die Einnahmen.

Die Gemeinde bezahlt also ihren laufenden Lebensunterhalt durch dauerhafte Überziehung. Die Spalte "Saldo, kumuliert" zeigt, dass sich die Überziehungen bis zum Planjahr 2021 vermutlich auf einen Betrag i.H.v. rd. -7,2 Mio. € aufsummieren werden!

In den Finanzrechnungen und Finanzplänen wird diese doch erhebliche Überziehung allerdings durch bestimmte Effekte kaschiert.

Schauen wir uns das einmal am Beispiel der Finanzrechnung 2013 an:

ZeileFinanzplan2013
1Einzahlungen lfd. Verwaltungstätigkeit25.369.434 €
2Auszahlungen lfd. Verwaltungstätigkeit27.508.044 €
3davon Zinsen/ sonst- Fin.Auszahlungen738.136 €
4Saldo lfd. Verwaltungstätigkeit (Cash Flow)-2.138.610 €
5Einzahlungen aus Investitionstätigkeit2.408.390 €
6Auszahlungen aus Investitionstätigkeit1.641.651 €
7Saldo Investitionstätigkeit766.739 €
8Saldo (4 und 7)-1.371.871 €
9Aufnahme/ Rückflüsse von Darlehen0 €
10Tilgung/ Gewährung von Darlehen571.064 €
11Aufnahme von Kassenkrediten45.531.918 €
12Tilgung von Kassenkrediten46.734.443 €
13Saldo Finanzierungstätigkeit (9-10+11-12)-1.773.589 €
14Änderung Bestand eigene Finanzmittel (8 und 13)-3.145.460 €
15Anfangsbestand eigene Finanzmittel57.905 €
16Bestand an fremden Finanzmitteln3.143.787 €
17Liquide Mittel (14 + 15 + 16)56.231 €

Von oben nach unten gelesen:
  • Der Saldo aus der laufenden Verwaltungstätigkeit beträgt -2.138.610 € (Zeile 4).
  • Das Minus verbessert sich durch Investitionstätigkeiten auf -1.371.871 € (Zeile 8), weil die Gemeinde in 2013 höhere Einzahlungen aus Investitionstätigkeit (z.B. Fördermittel) hatte als Auszahlungen aus Investitionstätigkeit (z.B. Auszahlungen für den Bau eines Gebäudes).
  • Das Minus verschlechtert sich wieder durch Finanzierungstätigkeiten auf -3.145.460 € (Zeile 14), weil die Gemeinde mehr Darlehen getilgt hat als sie an Darlehen aufgenommen hat.
  • Durch einen Anfangsbestand i.H.v. 56.231 € (Zeile 15) und den Bestand an fremden Finanzmitteln i.H.v. 3.143.787 € (Zeile 16) kommt für 2013 ein Plus an liquiden Mitteln i.H.v. 56.231 € heraus.

Die Handreichung zum NKF schreibt bzgl. § 16 "Fremde Finanzmittel" der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) u.a.:
"Die der Gemeinde von Dritten zur Verfügung gestellten Finanzmittel ("Fremde Finanzmittel") sind in die gemeindliche Finanzrechnung gesondert aufzunehmen, soweit sie sich noch im Verfügungsbereich der Gemeinde befinden, z.B. als liquide Mittel auf den gemeindlichen Bankkonten. 

Dieser gesonderte Nachweis ist sachgerecht und erforderlich, da die gemeindliche
Finanzrechnung den Gesamtbestand der verfügbaren Finanzmittel der Gemeinde zum Abschlussstichtag sowie die Veränderungen der gemeindlichen Finanzmittel im abgelaufenen Haushaltsjahr aufzeigen muss.
Das Ergebnis aus der gemeindlichen Finanzrechnung fließt in der gemeindlichen Bilanz in den gesonderten Vermögensposten "Liquide Mittel" auf der Aktivseite der Bilanz ein. 

In den Fällen, in denen die Gemeinde am Abschlussstichtag noch über fremde Finanzmittel verfügt, sollten diese im Anhang im gemeindlichen Jahresabschluss gesondert zu den sonstigen vorhandenen liquiden Mitteln der Gemeinde aufgezeigt werden. Durch eine solche Trennung der fremden Finanzmittel von den eigenen gemeindlichen Finanzmitteln werden die notwendigen Informationen über die gemeindliche Liquidität verbessert."

Entscheidend für die gemeindliche Liquidität ist also Zeile 14 in der obigen Tabelle, also ein Liquiditätsdefizit i.H.v. -3.145.460 €.

Kassenkredite

Wie im Privathaushalt muss auch eine Gemeinde kurzfristige finanzielle Engpässe überbrücken können, um ihre Liquidität sicherstellen zu können.
Was für den Privathaushalt der Dispokredit ist, ist für die Gemeinde der so genannte Kassenkredit.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der Kassenkredite der Gemeinde Wachtberg:

Stich-tagAufnahme von KassenkreditenTilgung von KassenkreditenBemerkungBestand Kassenkredite
01.01.200710.650.713 €
31.12.200716.306.583 €18.572.458 €mehr getilgt als aufgenommen8.384.839 €
31.12.200821.181.665 €20.018.523 €mehr aufgenommen als getilgt9.547.982 €
31.12.20096.632.433 €6.221.665 €mehr aufgenommen als getilgt9.958.750 €
31.12.201016.181.087 €16.299.114 €mehr getilgt als aufgenommen9.840.723 €
31.12.201127.685.372 €26.419.789 €mehr aufgenommen als getilgt11.106.305 €
31.12.201220.368.281 €19.359.261 €mehr aufgenommen als getilgt12.115.325 €
31.12.201345.531.918 €46.734.443 €mehr getilgt als aufgenommen10.912.800 €
31.12.201423.028.985 €23.717.582 €mehr getilgt als aufgenommen10.224.202 €
31.12.201530.814.679 €28.187.957 €mehr aufgenommen als getilgt12.850.924 €
31.12.201614.601.000 €
31.12.201716.000.000 €
31.12.201816.000.000 €

Bereits in der Eröffnungsbilanz der Gemeinde Wachtberg zum 01.01.2007 wurde ein Bestand an Kassenkrediten (siehe Passivseite, Punkt 4.2 Verbindlichkeiten aus Krediten zur Liquiditätssicherung) i.H.v. 10.650.713 € ausgewiesen.
Um es nochmals zu sagen: Kassenkredite dienen der kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen im Haushaltsjahr.

Lesebeispiel 1:
Im Haushaltsjahr 2007 (Stichtag 31.12.2007) wurden mehr Kassenkredite getilgt (18.572.458 €) als Kassenkredite aufgenommen wurden (16.306.583 €). Bezogen auf den Bestand am 01.01.2007 konnte der Bestand an Kassenkrediten auf 8.384.839 € reduziert werden.

Lesebeispiel 2:
Im Haushaltsjahr 2008 (Stichtag 31.12.2008) wurden mehr Kassenkredite aufgenommen (21.181.665 €) als Kassenkredite getilgt wurden (20.018.523 €). Somit hat sich der Bestand an Kassenkrediten zum 31.12.2008 auf 9.547.982 € erhöht.

Wie die Spalte "Bestand Kassenkredite" zeigt, muss die Gemeinde immer mehr Kassenkredite aufnehmen, um die Liquiditätsdefizite ausgleichen zu können. Für 2018 ist ein Bestand an Kassenkrediten i.H.v. 16 Mio. € geplant.

Und im Entwurf der Haushaltssatzung soll sogar der Höchstbetrag der Kredite, die zur Liquiditätssicherung in Anspruch genommen werden dürfen, auf 25 Mio. € erhöht werden.

Von "kurzfristiger Überbrückung von Liquiditätsengpässen" kann wohl kaum noch die Rede sein.

Ein Privathaushalt wäre schon längst gegen die Wand gefahren. Zur Erinnerung: ein Dispokredit beträgt i.d.R. das 2- bis 3-fache der Höhe der monatlichen Einkünfte. Bezogen auf die geplanten Einnahmen der Gemeinde Wachtberg in 2018 i.H.v. 34,6 Mio. € wären das 5,8 bis 8,6 Mio. € an möglichem Dispokredit, sprich Kassenkrediten. Für eine Gemeinde gibt es eine solche Deckelung nicht. Sie kann auf Beschluss der Ratsmitglieder immer höhere Kassenkredite aufnehmen! Und die Bank hätte beim Privathaushalt auf Grund der permanenten Überziehung schon längst an die Tür geklopft, um die persönliche Situation mit dem Kontoinhaber zu besprechen...

Auch dieser Beitrag zeigt, dass das NKF-Ziel "Intergenerative Gerechtigkeit" gescheitert ist. Lasten und Schulden der Gemeinde werden den Kindern und Enkelkindern aufgebürdet.

Der Appell an die Ratsmitglieder kann daher nur lauten:

Sorgt sofort dafür, dass die Gemeinde nicht länger über ihre Verhältnisse lebt. Werdet Eurer Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und deren Kindern und Enkelkindern gerecht. Und schlagt Euch das mit der geplanten Erhöhung der Grundsteuer B aus dem Kopf! 10 Jahre finanzielles Missmanagement kann und darf nicht auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ausgetragen werden.

Donnerstag, 15. März 2018

Irrtümer aus dem NKF

Die Allgemeine Rücklage ist Geld.
Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können erwirtschaftet werden.
Der kommunale Haushalt ist generationengerecht.


Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den oben genannten Irrtümern aus dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF).

Die Allgemeine Rücklage ist Geld

Im Rahmen des NKF müssen die Kommunen in NRW u.a. jedes Jahr eine Bilanz erstellen. Sie müssen auf der "Aktivseite" ihr Vermögen (= Mittelverwendung) und auf der "Passivseite" die Finanzierung des Vermögens (= Mittelherkunft) durch Eigenkapital (Unterposition "Allgemeine Rücklage") bzw. Fremdkapital darstellen.

Im Zuge der NKF-Einführung mussten die Kommunen eine Eröffnungsbilanz erstellen. Sie mussten ihr bestehendes Vermögen wie z.B. Straßen, Brücken, Gebäude, Ampeln, Spielplätze in Geld bewerten und die aktuelle Höhe der Schulden (Verbindlichkeiten/ Fremdkapital) zur Finanzierung des Vermögens angeben.

Grob vereinfacht errechnete sich dann die Allgemeine Rücklage (das Eigenkapital) wie folgt:
Wenn das Vermögen der Gemeinde (Straßen, Brücken, Gebäude, Ampeln, Spielplätze, etc.) insgesamt X Euro wert ist und davon Y Euro der Bank gehören (weil über Kredite = Fremdkapital finanziert), dann ist (X-Y) Euro die Höhe des Eigenkapitals, d.h. der Allgemeinen Rücklage, z.B.
Bewertetes Vermögen:100 Mio. €
./. Fremdkapital:40 Mio. €
= Allgemeine Rücklage (Eigenkapital):60 Mio. €

Die Allgemeine Rücklage (Eigenkapital) ist also ein berechneter Wert, eine so genannte Residualgröße. Der Begriff "Rücklage" erweckt den Eindruck, hier wäre in Geld einsetzbares Eigenkapital vorhanden. Das ist falsch!
Noch viel gravierender ist, dass Reichtum vorgetäuscht wurde, wo gar keiner ist!
Die Gemeinde durfte in der Eröffnungsbilanz Vermögensgegenstände bilanzieren, die nach dem Bilanzrecht gar nicht hätten bilanziert werden dürfen.

Denn nach dem Bilanzrecht muss sichergestellt sein, dass nur solche Vermögensgegenstände bilanziert werden, die den Gläubigern als Schuldendeckungspotential dienen können. Mit anderen Worten: Es dürfen nur solche Vermögensgegenstände bilanziert werden, deren Veräußerung (z.B. durch Verkauf, Versteigerung) einem Gläubiger zur Rückzahlung von dessen Forderungen verhilft.

Selbst einem Laien sollte kar sein, dass es kommunale Vermögensgegenstände gibt, die nicht oder zumindest nur sehr schwer veräußerbar sind (z.B. Straßen, Brücken, Schulgebäude, Rathaus), ohne dabei die kommunale Aufgabenerfüllung zu beeinträchtigen. Man spricht hier vom nicht-realisierbaren Vermögen.

Schauen wir uns einmal die Sachanlagen in der Eröffnungsbilanz der Gemeinde Wachtberg zum 01.01.2007 an:

Unbebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
Grünflächen5.496.670,41 €
Ackerland942.251,75 €
Wald und Forst884.341,50 €
Sonstige unbebaute Grundstücke1.233.777,75 €
Summe:8.557041,41 €
Bebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
Kinder- und Jugendeinrichtungen2.188.831,50 €
Schulen17.117.518,50 €
Wohnbauten1.631.900,25 €
Sonstige Dienst-, Geschäfts- und Betriebsgebäude11.105.460,65 €
Summe:32.043.710,90 €
Infrastrukturvermögen
Grund und Boden des Infrastrukurvermögens14.917.835,00 €
Brücken und Tunnel1.368.396,29 €
Straßennetz mit Wegen, Plätzen und Verkehrsanlagen61.405.254,16 €
Sonstige Bauten des Infrastrukturvermögens184.071,52 €
Summe:77.875.556,97 €
Sonstiges Sachvermögen
Kunstgegenstände, Kulturdenkmäler31.178,50 €
Maschinen und technische Anlagen, Fahrzeuge670.167,69 €
Betriebs- und Geschäftsausstattung612.476,67 €
Geleistete Anzahlungen, Anlagen im Bau177.866,06 €
Summe:1.491.688,92 €

Auch dem Laien sollte sich erschließen, dass die gelb markierten Vermögensgegenstände wohl eher zum nicht-realisierbaren Vermögen zählen.

So aber führte die Berücksichtigung/ Bilanzierung sämtlicher Vermögensgegenstände der Gemeinde Wachtberg zu einer Allgemeinen Rücklage (Eigenkapital) i.H.v. rd. 81,4 Mio. € wie der Blick auf die Passivseite der Eröffnungsbilanz zeigt.

Ein "Reichtum", mit dem in der Folge hohe Fehlbeträge in der Ergebnisrechnung ausgeglichen werden konnten, ohne dass die "magische" 5%-Grenze zur Haushaltssicherung überschritten wurde.
Ein Fehlbetrag ist "unkritisch", solange er kleiner als fünf Prozent der Allgemeinen Rücklage ist. Also gilt: Je höher die Allgemeine Rücklage, desto höher kann der Fehlbetrag sein.

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können erwirtschaftet werden

Wenn ein Unternehmer 1.000.000 € in die Anschaffung einer Maschine zur Produktion von Waren investiert, muss er die Maschine über die Nutzungsdauer abschreiben. Bei einer Nutzungsdauer von 10 Jahren wären das in unserem Beispiel 100.000 € pro Jahr. Die 100.000 € werden als Betriebsausgaben in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) erfasst. Da der Unternehmer mit der Maschine Geld verdienen will, wird er die Abschreibung - neben anderen Kosten für Erhaltung und Betrieb der Maschine (Folgekosten) sowie etwaiger Kreditzinsen - anteilig in den Verkaufspreis der produzierten Ware "einpreisen". Die Verkaufserlöse werden als Betriebseinnahmen in der GuV erfasst. Unter dem Strich wird die GuV im Idealfall einen Gewinn ausweisen. Der Unternehmen hat also die Möglichkeit, die Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten zu erwirtschaften - um z.B. in 10 Jahren eine neue Maschine anschaffen zu können.

Wie sieht das in einer Gemeinde aus?

Wenn eine Gemeinde 1.000.000 € in die energetische Sanierung einer Grundschule investiert, muss auch die Gemeinde die Anschaffungs- und Herstellungskosten abschreiben. Die Gemeinde muss dazu in der entsprechenden Teilergebnisrechnung die "bilanziellen Abschreibungen" als Aufwendungen erfassen. Weiterhin muss sie in der Teilergebnisrechnung die Kosten für den Unterhalt und den Betrieb (Folgekosten) und etwaige Kreditzinsen als Aufwendungen erfassen.

Und wie sieht es auf der Ertragsseite der Teilergebnisrechnung aus? Im Gegensatz zum Unternehmer kann die Gemeinde die Abschreibung, die Kreditzinsen und die Folgekosten für die energetisch sanierte Grundschule nicht anteilig in öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistungsentgelte der Teilergebnisrechnung "einpreisen", sprich Gebühren oder Eintrittsgelder erhöhen, denn in Deutschland sind für den Besuch öffentlicher Schulen keine Gebühren respektive Eintrittsgelder zu entrichten.

Das Beispiel lässt sich auf Feuerwehrwachen, Wege, Plätze, etc. übertragen und belegt:

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können von einer Gemeinde in vielen Fällen nicht in Geld erwirtschaftet werden.

Mehr noch: Immer mehr Investitionen "verschlechtern" die Teilergebnisrechnungen und können zu einem nicht ausgeglichenen Haushalt führen.

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten sind "ergebniswirksam": jeder Euro mehr auf der Aufwandsseite führt bei unveränderter Ertragsseite zu einer Verringerung des Jahresergebnisses - und führt im ungünstigsten Fall zu einem Fehlbetrag.  Und in vielen Kommunen schließt die Gesamtergebnisrechnung bereits heute mit einem Fehlbetrag ab, d.h. der Haushalt ist nicht ausgeglichen.

Und was macht dann die Gemeinde, um den geforderten Haushaltsausgleich zu schaffen?
Sie nutzt die vom Gesetzgeber gegebene Möglichkeit und mindert die Allgemeine Rücklage, sprich das Eigenkapital... Null problemo, siehe oben!

Kommunale Haushalte sind generationengerecht

Das NKF wurde u.a. mit Ziel der "intergenerativen Gerechtigkeit" eingeführt, d.h. der kommunale Haushalt soll nur das verbrauchen (= Aufwendungen), was er auch erwirtschaftet (= Erträge). Der Wertverlust des kommunalen Vermögens und künftige finanzielle Belastungen sollen systematisch und vorsorglich erwirtschaft werden. Die gesamte Haushaltspolitik soll also darauf ausgerichtet sein, dass eine Gemeinde nicht auf Kosten künftiger Generationen lebt.
Ein hehres Ziel!

Und wie sieht die Realität aus?

Schauen wir uns das einmal - stellvertretend für viele NRW-Kommunen - am Beispiel der Haushalte 2007-2017 der Gemeinde Wachtberg (rd. 20.000 Einwohner) an.

Folgende Datenquellen wurden genutzt:
Für die Erläuterungen der Begriffe wie "Jahresergebnis", "Finanzrechnung"/ "Liquide Mittel" und "Allgemeine Rücklage", siehe Blog-Beitrag "Kommunale Haushalte verstehen - ein nicht einfaches Unterfangen".


Haushalts-
jahr
Jahres-
ergebnis
Liquide MittelAllgemeine
Rücklage
Ausgleichs-
rücklage
2007-1.270.990 €182.348 €84.997.000 €5.137.000 €
2008-1.390.383 €2.820.122 €85.174.000 €3.866.000 €
2009-3.313.903 €689.623 €84.927.000 €2.476.000 €
2010-3.054.687 €138.645 €83.971.000 €0 €
2011-3.021.866 €1.226.420 €80.916.484 €0 €
2012-2.577.772 €-57.905 €78.079.040 €0 €
2013-3.583.672 €-56.231 €75.629.775 €0 €
2014-3.167.178 €-200.140 €72.765.675 €0 €
2015-2.333.026 €-838.527 €69.691.446 €0 €
2016-3.860.245 €-1.894.674 €67.324.547 €
2017-2.576.643 €-1.421.029 €63.464.302 €

Die Spalte "Jahresergebnis" zeigt sehr deutlich, dass die Gemeinde in keinem Jahr eine "schwarze Null" respektive einen Überschuss erzielen konnte, d.h. in jedem Haushaltsjahr übersteigen die Aufwendungen die Erträge. Die Gemeinde verbraucht also jedes Jahr mehr als sie erwirtschaftet.

Und wie sieht es mit dem Vermögen aus? Tja, das schmilzt rapide dahin, da die Gemeinde Jahr für Jahr die Allgemeine Rücklage mindert, um den vom Gesetzgeber geforderten Haushaltsausgleich erfüllen zu können (siehe oben - null problemo).

Auch die Liquidität der Gemeinde kennt nur eine Richtung - nämlich nach unten. Ab 2012 ist die Summe der Auszahlungen zunehmend höher als die Summe der Einzahlungen. Wir reden hier von realem Geld, d.h. der Gemeinde fehlt Geld. Und wie kommt sie an Geld? Schließlich muss sie alle offenen Rechnungen bezahlen.

Werfen wir dazu einen Blick auf die Entwicklung der Schulden:


Haushalts-
jahr
Allgemeine RücklageFremdkapitaldavon Kassenkredite
200784.997.000 €26.880.000 €2.943.000 €
200885.174.000 €23.422.000 €3.200.000 €
200984.927.000 €24.040.000 €10.836.000 €
201083.971.000 €25.296.000 €9.819.000 €
201180.916.484 €26.776.000 €10.763.000 €
201278.079.040 €27.876.000 €13.181.000 €
201375.629.775 €25.769.000 €11.062.000 €
201472.765.675 €24.958.000 €10.373.000 €
201569.691.446 €28.144.000 €13.000.000 €
201667.324.547 €29.522.000 €14.601.000 €
201763.464.302 €31.158.000 €16.000.000 €

Die Gemeinde benötigt immer mehr Fremdkapital. Besonders ins Auge sticht dabei, dass die so genannten Kassenkredite - also die Kredite zur Liquiditätssicherung - (entspricht in etwa dem Dispo im Privathaushalt) immer weiter steigen, von 2,9 Mio. € in 2007 auf 16 Mio. € in 2017.

Mit intergenerativer Gerechtigkeit hat das alles nichts zu tun! Im Gegenteil!
Ziel verfehlt. Note 6 - setzen!

Sonntag, 11. März 2018

Kommunale Haushalte verstehen - ein nicht einfaches Unterfangen

Ganz zu schweigen davon, ob man überhaupt fündig wird


Wie kannst Du Dir als Bürgerin oder Bürger selbst ein Bild davon verschaffen, wie es um die Vermögens-, Schulden-, Ertrags- und Finanzlage Deiner Gemeinde/ Stadt (nachfolgend "Gemeinde") bestellt ist und warum?

Schließlich bekommst Du die Auswirkungen ja direkt zu spüren, wenn es in Deiner Gemeinde nicht rund läuft, z.B. fehlende Kita-Plätze, marode Schulen, fehlende OGS-Plätze, innerörtliche Schlaglochpisten, Erhöhung der Grundsteuer B,...

Sollte Dir jemand antworten
"Einfach auf die Homepage der Gemeinde gehen und unter der Rubrik Haushalt nachschauen. Dort findest Du alles für den Laien verständlich erklärt.",

ja, dann brauchst Du diesen Beitrag nicht weiterzulesen, denn dann wohnst Du Glückspilz in einer Gemeinde, die ganz ganz weit vorne ist.

Für die meisten von uns gilt eher: mühevolle Recherche, kommunalpolitischer Kauderwelsch und Detektivarbeit bis hin zu "ich hab' keinen Bock mehr".

Deswegen geht es in diesem Beitrag in einem ersten Schritt darum, einige wichtige Begriffe aus dem kommunalpoltischen Kauderwelsch des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) zu erklären - was alleine schon eine ziemlich heftige Kost ist.

Die nachfolgende Grafik aus der NKF-Handreichnung des NRW-Innenministeriums gibt einen Überblick über die Bestandteile des kommunalen Haushalts(plans):


Ergebnisplan/ Ergebnisrechnung

Der Ergebnisplan und die daraus resultierende Ergebnisrechnung sollen ein vollständiges und übersichtliches Bild über die Erträge (z.B. OGS-Elternbeiträge) und Aufwendungen (z.B. Betreuung OGS-Kinder durch Kooperationspartner) zur Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben sowie die Ertragslage geben.

Der Fokus liegt hierbei auf dem Zeitpunkt der Entstehung des "Ressourcenaufkommens" bzw. "Ressourcenverbrauchs" (wirtschaftliche Verursachung) und nicht auf dem Zeitpunkt der Zahlung. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Du hast im Herbst 2017 Grassamen gekauft, weil Du im Frühjahr 2018 ein paar kahle Stellen Deines Rasens einsäen willst. Also: Auszahlung in 2017 (in Finanzrechnung, s.u.), aber Aufwendung (=Ressourcenverbrauch) in 2018.

Unter dem Strich ergibt sich im Ergebnisplan bzw. in der Ergebnisrechung das "Jahresergebnis" (= Ertragslage), entweder als Überschuss (höhere Erträge als Aufwendungen) oder eben als Fehlbetrag (höhere Aufwendungen als Erträge).

Das Jahresergebnis ist ein wichtiger Indikator dafür, wie es um die Gemeinde bestellt ist, denn das Jahresergebnis wirkt sich auf das Eigenkapital der Gemeinde aus (s. unten "Allgemeine Rücklage"). Und so bestimmt auch § 75 "Haushaltsgrundsätze" Absatz 2 Satz 1 und 2 der Gemeindeordnung (GO) NRW:
"Der Haushalt muss in jedem Jahr in Planung und Rechnung ausgeglichen sein. Er ist ausgeglichen, wenn der Gesamtbetrag der Erträge die Höhe des Gesamtbetrages der Aufwendungen erreicht oder übersteigt."

Zu beachten ist: die gemeindlichen Investitions- und Finanzierungstätigkeiten gehören nicht zur laufenden Verwaltungstätigkeit (Unterteilung des Haushalts in kosumtiven und investiven Teil).

Finanzplan/ Finanzrechnung

Der Finanzplan und die daraus entstehende Finanzrechnung sollen dazu beitragen, dass ein Bild über die Finanzmittelherkunft und die Finanzmittelverwendung entsteht und die Finanzlage der Gemeinde beurteilt werden kann.

Es werden hier also alle eingegangenen Einzahlungen und geleisteten Auszahlungen der Gemeinde erfasst. Der Fokus liegt auf dem Zeitpunkt der Ein-/ Auszahlungen.

Unter dem Strich ergibt sich der Stand an "liquiden Mitteln" (= Finanzlage).

Bilanz

Die Bilanz ist eine stichtagsbezogene (31.12.) Gegenüberstellung des Vermögens der Gemeinde (Aktivseite = Mittelverwendung) und den dafür notwendigen Finanzierungsmitteln (u.a. Eigenkapitel/ Fremdkapital) (Passivseite = Mittelherkunft).

Mit der Bilanz soll stichtagsbezogen ein Bild über die Vermögens- und Schuldenlage der Gemeinde vermittelt werden.


Allgemeine Rücklage

Besonderer Augenmerk ist auf die "Allgemeine Rücklage" als Unterposition des Eigenkapitals in der Bilanz (Passivseite) zu richten. Die allgemeine Rücklage ist ein entscheidender "Knackpunkt" im kommunalen Haushalt, dem schon viele Autoren sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Zwei Aussagen umschreiben den "Knackpunkt" recht treffend:
  1. Das Eigenkapital täuscht Reichtum vor, wo keiner ist.
  2. Die Gemeinde lebt von seiner Substanz
Warum ist das so?
Bei der allgemeinen Rücklage handelt es sich nämlich nicht um echtes Geld, das "auf der hohen Kante liegt", sondern nur um eine buchungsmäßige Größe als Teil des Eigenkapitals.

Grob vereinfacht errechnet sich die allgemeine Rücklage wie folgt:
Wenn das Vermögen (Straßen, Brücken, Gebäude, Ampeln, Spielplätze, etc.) der Gemeinde insgesamt X Euro wert ist und davon Y Euro der Bank gehören (weil über Kredite = Fremdkapital finanziert), dann ist (X-Y) Euro die Höhe der allgemeine Rücklage, z.B.

Bewertetes Vermögen:100 Mio. €
./. Fremdkapital:40 Mio. €
= Allgemeine Rücklage:60 Mio. €

Die Sache hat nur ein kleinen Haken, oder glaubst Du, dass die Gemeinde eine Brücke oder ein Schulgebäude überhaupt veräußern kann und darf, geschweige denn zu dem ermittelten (Rest)Wert?

Die Gemeinde darf aber so tun als ob: sie darf Gegenstände mit zum Vermögen zählen, obwohl der Gegenstand nicht veräußerbar ist. Es reicht die reine theoretische Möglichkeit der Einzelveräußerung aus, selbst wenn ein gesetzliches oder vertragliches Veräußerungsverbot der selbständigen Verwertbarkeit des Gegenstands entgegensteht.

So kommt es, dass auch diejenigen Teile des Infrastrukturvermögens mit zum Vermögen der Gemeinde zählen, für die kein Markt besteht und die in der Praxis nicht veräußerbar sind (wie z.B. Straßen).

Das mit der Reichtum, der keiner ist, zeigt sich am Beispiel der Stadt Bonn.
In der Eröffnungsbilanz zum 01.01.2008 betrug die allgemeine Rücklage sage und schreibe 1,4 Milliarden Euro. Immer wieder daran denken: das ist kein Geld, das auf der hohen Kante liegt.

In der Bilanz zum 31.12.2016 sind von den ursprünglichen 1,4 Milliarden Euro nur noch 1,1 Milliarden Euro übrig. Rd. 300 Mio. Euro sind abgeschmolzen. Die Stadt Bonn lebt also von der Substanz.

Warum lebt die Gemeinde von der Substanz?
Weil der Gesetzgeber den Gemeinden die Möglichkeit einräumt, Defizite im Haushalt (Mehr Aufwendungen als Erträge) durch Minderung der allgemeinen Rücklage bis zu gewissen Grenzen auszugleichen, um so die Forderung des Gesetzgebers nach einem ausgeglichenen Haushalt zu erfüllen (§ 75 GO NRW).

Solange die Gemeinde diese Grenzen nicht "reißt", kann die Gemeinde Jahr für Jahr im Jahresergebnis (s.o.) einen Fehlbetrag - also höhere Aufwendungen als Erträge - durch Minderung der allgemeinen Rücklage ausgleichen. Und dies nutzen viele Kommunen in NRW seit Jahren mit der Folge, dass das gemeindliche Eigenkapital wie ein Gletscher immer weiter schmilzt.

Von den Spielregeln in der Privatwirtschaft ist das NKF weit entfernt. Die kommunalen Haushalte wären in der Privatwirtschaft schon längst insolvent. Denn eine Bank würde etwa ein marodes Schulgebäude nicht als "Eigenkapital" und damit als Sicherheit für einen Kredit akzeptieren.

Die desolate Haushaltslage vieler Kommunen führt außerdem zu Sanierungsstaus bei öffentlichen Gebäuden (Eigenkapital), wodurch deren Wert noch weiter sinkt. Das Eigenkapital schrumpft somit auch durch fehlende Instandhaltung.

Gemeindlicher Jahresabschluss

Der gemeindliche Jahresabschluss gibt Aufschluss über die bestehende Vermögens-, Schulden-, Ertrags- und Finanzlage der Gemeinde und informiert über die tatsächliche Aufgabenerledigung, die Einhaltung des Haushaltsplans und die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde. Die Hauptbestandteile des gemeindlichen Jahresabschlusses sind die Ergebnisrechung, die Finanzrechnung und die Bilanz.

So weit so gut. Wie gesagt: schwere Kost.

Wie geht es jetzt weiter?

Wenn wir uns also ein "Bild" über die Vermögens-, Schulden-, Ertrags- und Finanzlage unserer Gemeinde machen wollen, dann scheinen ja die gemeindlichen Jahresabschlüsse der Gemeinde ein guter Startpunkt für unsere Recherche zu sein.

Eine etwaig aufkeimende Euphorie muss aber gleich wieder gedämpft werden: viele Kommunen sind mit der Erstellung ihrer Jahresabschlüsse ziemlich in Verzug, obwohl der Gesetzgeber hierzu eindeutig bestimmt:

  • § 37 Absatz 1 Satz 1 der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) NRW:
    "Die Gemeinde hat zum Schluss eines jeden Haushaltsjahres einen Jahresabschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und der in dieser Verordnung enthaltenen Maßgaben aufzustellen."
  • § 96 Absatz 1 Satz 1 Gemeindeordnung (GO) NRW:
    "Der Rat stellt bis spätestens 31. Dezember des auf das Haushaltsjahr folgenden Jahres den vom Rechnungsprüfungsausschuss geprüften Jahresabschluss durch Beschluss fest."
Ist ja immer wieder die gleiche Frage: wenn Gesetze nicht eingehalten werden und es keinen schert, warum werden dann diese Gesetze nicht einfach abgeschafft?

Du kannst also froh sein, wenn es in Deiner Kommune schon einen Jahresabschluss 2016 gibt.

Und ein weiterer Punkt wird Dich vermutlich auch sehr ernüchtern: die Suche nach den Jahresabschlüssen!

Nehmen wir zum Beispiel die Gemeinde Wachtberg. Es gibt keine Seite auf der Homepage der Gemeinde Wachtberg, die alle Jahresabschlüsse seit 2007 (Einführung des NKF) auflistet und die Entwicklung über die Zeit zeigt. Also musst Du entweder auf der Homepage im Archiv stöbern oder bei Google nach "Jahresabschluss Wachtberg 2007", "Jahresabschluss Wachtberg 2008", usw. suchen. Mit Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern hat das auch nicht viel zu tun.

Viel Glück und Erfolg bei der Recherche der Jahresabschlüsse in Deiner Gemeinde!

Freitag, 9. März 2018

Haushaltsplan und Transparenz - 2 Welten prallen aufeinander

Ein kontenscharfer Haushaltsplan schafft mehr Transparenz und hilft den Ratsmitgliedern ihrer Verantwortung gerecht zu werden!


Schauen wir uns doch einmal den Teilergebnisplan der Produktgruppe 1.03.06 "Offene Ganztagsschule" im Haushaltsplanentwurf 2015 der Gemeinde Wachtberg an:

Erst einmal nicht verwirren lassen: 
  • Negative Zahlen sind Erträge, z.B. -401.723 € aus Zuwendungen und allgemeine Umlagen.
  • Positive Zahlen sind Aufwendungen, z.B. 5.535 € für bilanzielle Abschreibungen.
Bevor wir weitermachen: Stelle Dir kurz vor, Dein Vermieter schickt Dir eine Nebenkostenabrechnung mit folgendem lapidaren Inhalt: "Die Abrechnung der Nebenkosten ergibt für Sie eine Nachzahlung in Höhe von 2.000 €". Würdest Du das so hinnehmen? Vermutlich eher nicht. Du würdest zumindest wissen wollen, wie dieser Betrag im Einzelnen zustande kommt, oder?

So ähnlich ist es doch auch im abgebildeten Teilergebnisplan bzgl. der rot eingekreisten Erträge und Aufwendungen. Das sind zu große Zahlen. Da kann sich keiner etwas darunter vorstellen.

Ok, ok. Zu diesem Teilergebnisplan gibt es noch eine Erläuterungsseite.

Von den im Teilergebnisplan rot eingekreisten Beträgen werden folgende Beträge erläutert:
  • Zuwendungen und allgemeine Umlagen
    (allerdings weicht der ausgewiesene Betrag i.H.v. 398.010 € vom Ansatz i.H.v. -401.723 € ab)
  • Öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte
  • Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen
Was aber ist mit den Aufwendungen aus internen Leistungsbeziehungen
Wie setzt sich der Betrag i.H.v. 202.613 € zusammen? (vgl. 2.000 € Nebenkostennachzahlung)

Immerhin ist es ja so, dass der Teilergebnisplan in Zeile 18 noch ein positives Ergebnis aus laufender Verwaltungstätigkeit i.H.v. -56.191 € ausweist. Also eigentlich alles schick.

Nur durch die Aufwendungen aus internen Leistungsbeziehungen ergibt sich eine Fehlbetrag i.H.v. 146.422 € - sprich die Produktgruppe 1.03.06 (Offene Ganztagsschule) ist defizitär.

Anmerkung am Rande: Der Rat der Gemeinde Wachtberg hatte am 25.06.2015 eine Änderung der Satzung zur Erhebung von Elternbeiträgen für die offene Ganztagsschule im Primärbereich in der Gemeinde Wachtberg, incl. der neuen Einkommensstufen (0 und 7) zum 01.08.2015 beschlossen. 

Ist es nicht fragwürdig, eine Erhöhung der OGS-Elternbeiträge auf Grund der nicht weiter erläuterten Aufwendungen aus internen Leistungsbeziehungen i.H.v. 202.613 € zu beschließen?

Die Ratsmitglieder - aber auch die interessierten Bürgerinnen und Bürger  - würden sich ein viel besseres - weil tansparenteres - Bild machen können, läge der Teilergebnisplan "kontenscharf" vor. 

Ein kleiner Exkurs in die Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) NRW: § 27 "Buchführung" Abs. 7 bestimmt: "Der Buchführung ist der vom Innenministerium bekannt gegebene Kontenrahmen zu Grunde zu legen. Der Kontenrahmen kann bei Bedarf ergänzt werden. Die eingerichteten Konten sind einem Verzeichnis (Kontenplan) aufzuführen."

Und so sieht das dann für den o.g. Teilergebnisplan aus. Der Einfachheit halber schauen wir uns nur die Spalte "Ansatz" an.

Pos.KontoBezeichnungAnsatzSumme Pos.
2414200Zuweisungen Land-398010,00
2416100Auflösung SoPo Zuweisungen Bund-Zweckg.-2289,00
2416200Auflösung SoPo Zuweisungen Land-Zweckg.-1179,68
2416800Auflösung SoPo Zuschüsse pri.U-Zweckg.-244,00-401722,68
4432905Elternbeiträge OGS-461670,00-461670,00
11501100Bezüge Beamte2476,00
11501140Jahressonderzahlung Beamte0,00
11501200Vergütung tariflich Beschäftigte8267,00
11502200Versorgungskassen tariflich Beschäftigte629,00
11503200Sozialversicherung tariflich Beschäft.1652,00
11504100Beihilfen Beamte236,88
11504200Beihilfen tariflich Beschäftigte4,44
11505100Zuführungen Pensionsrückst. Beschäftigte466,92
11507100Rückstellungen Urlaub0,00
11507200Rückstellungen Überstunden0,00
11507300Rückstellungen Beihilfe144,36
11509100Pauschalierte Lohnsteuer0,0013876,6
12511100Versorgungsbezüge Beamte905,88
12514100Beihilfen, Unterstützungsl. Vers.empf.177,60
12515100Zuführungen Pensionsrückst. Vers.empf.0,001083,48
13523600Unterhaltung der BuG2362,12
13529100Sonstige Sach- und Dienstleistungen783643,00786005,12
14572100AfA immaterielle VG des AV45,24
14576100AfA BuG5489,425534,66
16541200Aus- und Fortbildung, Umschulung78,72
16541300Übernommene Reisekosten61,56
16541700Personalnebenaufwendungen12,72
16543100Büromaterial38,04
16543110Verbrauchsmaterial0,00
16543210Kopierkosten46,08
16543300Zeitungen und Fachliteratur40,32
16543400Porto69,12
16543500Telefon102,84
16544110Haftpflichtversicherung106,08
16544120Unfallversicherung128,88
16544140Eigenschadenversicherung17,28
16544820AfA auf Forderungen0,00
16549800Periodenfremde ordentlichen Aufwände0,00701,64
2810111Gebäudemanagement (Umlage Objekt)85870,43
2810103Verwaltungsmanagement19062,72
2810101Politische Steuerung13443,36
2810102Statistik und Wahlen1255,20
2810104Personalservice962,76
2810105Innere Dienste und Datenverarbeitung2428,93
2810106Finanzservice19067,73
2810107Liegenschaften2668,67
2810111Gebäudemanagement (Serviceproduktumlage)57853,47202613,27

Durch einen kontenscharfen Teilergebnisplan wird das Eine oder Andere etwas klarer.

Und es ergeben sich z.B. folgende konkreten Fragen:
  • Welche Leistungen hat Gebäudemanagement (Umlage Objekt) i.H.v. 85.870,43 € erbracht?
  • Was rechtfertigt Verwaltungsmanagement i.H.v. 19.062,72 €?
  • Warum gibt es eine interne Leistungsbeziehung zwischen OGS und politischer Steuerung? Welche Leistungen wurden erbracht?
  • Welche Leistungen des Gebäudemanagements (Serviceproduktumlage) ergeben den Betrag i.H.v. 57.853,47 €?
Und wenn man sich im Teilergebnisplan der Produktgruppe 1.03.02 (Grundschulen) die Aufwendungen aus internen Leistungsbeziehungen "kontenscharf" anschaut, dann stellt sich die Frage, ob die Verhältnisse stimmen.

Interne Leistungsbeziehungen in Produktgruppe 1.03.02


10111: Gebäudemanagement (Umlage Objekt)462663,37
10103: Verwaltungsmanagement19062,72
10101: Politische Steuerung13443,36
10102: Statistik und Wahlen1255,20
10104: Personalservice16534,79
10105: Innere Dienste und Datenverarbeitung6554,60
10106: Finanzservice18250,21
10107: Liegenschaften2765,12
10110: Baubetriebshof9303,81
10111: Gebäudemanagement (Serviceproduktumlage)37980,42

Die Ratsmitglieder müssen ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern insbesondere bei der Aufstellung des Haushalts gerecht werden können.

Das geht nur mit einem kontenscharfen Haushaltsplan!

Donnerstag, 8. März 2018

Die Mär von den Investitionen im NKF

Wenn Kommunalpolitiker geplante Investitionsmaßnahmen verargumentieren, bekommt man immer wieder Aussagen zu hören, wie z.B:
  • Mit Investitionen erhalten bzw. erhöhen wir das Gemeindevermögen.
  • Mit Investitionen sichern wir unsere Zukunft.
  • Mit Investitionen halten wir die öffentliche Infrastruktur in Ordnung.
  • Eine Grundsanierung verursacht weniger Kosten als Flickschusterei.
  • Ausgaben im investiven Bereich sind nicht ergebniswirksam.
  • Erst nach der Umsetzung der Investitionsmaßnahme schlagen Abschreibungen und Zinsen zu Buche.
  • Es wird wohl keine besseren Rahmenbedingungen auf dem Kapitalmarkt geben als zurzeit.
Wenn Du nach konkreten, belastbaren Zahlen fragst, wird die Luft allerdings schnell dünn.

Also schauen wir uns das Ganze doch mal an einem Investitionsbeispiel an.

Zur Einstimmung widmen wir uns zunächst dem Drei-Komponenten-System des NKF, dem "Neuen Kommunalen Finanzmanagement" für NRW-Kommunen. Na ja, neu ist es schon lange nicht mehr.

In der Finanzrechnung werden alle Ein- und Auszahlungen (Fokus: Zeitpunkt der Zahlungen) und in der Ergebnisrechnung alle Erträge und Aufwendungen (Fokus: Zeitpunkt der Entstehung des Ressourcenverbrauchs) erfasst.
Die Bilanz ist wichtiger Teil des Jahresabschlusses und verkörpert stichtagsbezogen (31.12.) das Vermögen (Mittelverwendung) und dessen Finanzierung (Mittelherkunft) durch Eigenkapital bzw. Fremdkapital. Nachfolgend ein sehr grobe Darstellung des Drei-Komponenten-Systems des NKF.

Drei-Komponenten-System des NKF

Wichtig zu wissen und zu merken:
  • Das Finanzmittelsaldo der Finanzrechnung wird auf die Aktivseite der Bilanz geschrieben.
  • Das Ergebnissaldo der Ergebnisrechnung wird auf die Passivseite der Bilanz geschrieben.
  • Die Aktivseite der Bilanz gibt Auskunft über die Mittelverwendung.
  • Die Passivseite der Bilanz gibt Auskunft über die Mittelherkunft (Eigenkapital, Fremdkapital).
Anmerkung am Rande:
Die nachfolgende Grafik aus der NKF-Handreichnung des NRW-Innenministeriums gibt einen Überblick über die Bestandteile des kommunalen Haushaltsplans: Ergebnisplan, Finanzplan und produktorientierte Teilpläne sowie die Anlagen.



Nur, wo ist die Bilanz?
Die Bilanz ist nicht Teil des Haushaltsplan, sondern des (oftmals sehr verspäteten) Jahresabschlusses. Warum gibt es im Haushaltsplan bzw. Haushaltsplanentwurf nicht auch eine "Planbilanz"? Das wäre vielleicht für die Kommunalpolitiker/ Ratsmitglieder, aber auch für die Allgemeinheit sehr hilfreich, gibt die Bilanz doch ein guten Überblick über den Vermögensstand der Kommune.


Ok, machen wir weiter. Schauen wir uns nun das Eigenkapital in der Bilanz einmal genauer an.

Hier erfolgt u.a. die Unterteilung in "Allgemeine Rücklage" und "Jahresergebnis". Das Ergebnissaldo der Ergebnisrechnung wird also genau genommen in das Feld "Jahresergebnis" auf der Passivseite der Bilanz geschrieben.

Ist denn die "Allgemeine Rücklage" Geld, das die Kommune "auf der hohen Kante" liegen hat und auf das es zugreifen kann? Der Begriff "Rücklage" suggeriert es und viele Kommunalpolitiker glauben es.

Ein klares Nein. Die "Allgemeine Rücklage" ist ein fiktiver Wert.

Bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz mussten die Kommunen seinerzeit ihr Vermögen (Aktiva = Mittelverwendung) wie z.B. Straßen, Brücken, Gebäude in Geld bewerten. Die Kommunen mussten zudem das Fremdkapital (Passiva = Mittelherkunft) angeben, das zur Finanzierung des Vermögens z.B. durch Kredite aufgenommen wurde.

Grob vereinfacht greift für die Bildung der allgemeinen Rücklage folgende bestechende Logik: Wenn das Vermögen der Kommune X Euro wert ist und davon Y Euro der Bank gehören (Fremdkapital), dann ist logischerweise X-Y Euro die Höhe des Eigenkapitals, z.B.
Bewertetes Vermögen:100 Mio. €
./. Fremdkapital:40 Mio. €
= Allgemeine Rücklage:60 Mio. €

Die Sache hat nur ein kleinen Haken, oder glaubst Du, dass eine Kommune eine Brücke oder ein Schulgebäude überhaupt veräußern kann, geschweige denn zu dem ermittelten (Rest)Wert?
Die Kommunen durften aber so tun als ob: Sie durften Gegenstände mit zum Vermögen zählen, obwohl der Gegenstand nicht veräußerbar ist. Es reichte die reine Möglichkeit der Einzelveräußerung aus, selbst wenn ein gesetzliches oder vertragliches Veräußerungsverbot der selbständigen Verwertbarkeit des Gegenstands entgegensteht.
So kam es, dass auch diejenigen Teile des Infrastrukturvermögens, für die kein Markt besteht und die in der Praxis nicht veräußerbar sind (wie z.B. Straßen) mit zum Vermögen gezählt werden konnten.

Wie gesagt, die allgemeine Rücklage ist keine Rücklage in Geld, auf das die Kommunen zugreifen können. Es ist ein künstliches Konstrukt, das vielen Kommunen vermeintlich den Allerwertesten rettet - Stichwort "Minderung der allgemeinen Rücklage zur Sicherung eines ausgeglichenen Haushalts", siehe nachfolgend.

Schauen wir uns nun einmal an einem Beispiel an, was mit dem Vermögen passiert, wenn die jährliche Bilanz (hier: 31.12.17) erstellt wird. Der Einfachheit halber treffen wir folgende Annahmen:
  1. Die Kommune hatte zum Stichtag 31.12.16 ein schuldenfreies Sachvermögen (Brücken, Straßen, Gebäude) i.H.v. 10 Mio. €.
  2. Die Kommune nutzt das Sachvermögen 50 Jahre.
  3. Die jährliche Abschreibung beträgt 200 Tsd. €.
  4. Die Ein-/ Auszahlungen sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  5. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  6. Es gibt keine Investitionen im Jahr 2017.

Wie sich zeigt, ist die bilanzielle Abschreibung ergebniswirksam und führt zu einem Fehlbetrag im Jahresergebnis i.H.v. -200 Tsd. €. Die Bilanzsumme hat sich aufgrund der Abschreibung auf 9,8 Mio. € reduziert.

Gemäß § 75 Abs. 2 Gemeindeordnung (GO) NRW wäre der Haushalt unserer Beispielkommune nicht ausgeglichen, da die Aufwendungen die Erträge übersteigen.

Weil die Ausgleichsrücklage aufgebraucht ist (0) (wir gehen hier nicht weiter darauf ein, da mittlerweile sehr viele Kommunen ihre Ausgleichsrücklage aufgebraucht haben), wird unsere Beispielkommune bei der Aufstellung der Haushaltssatzung die Verringerung der allgemeinen Rücklage um 200 Tsd. € vorsehen, um einen ausgeglichen Haushalt zu erhalten.

Schauen wir uns nun das Jahr 2018 an. Unsere Beispielkommune möchte 1 Mio. € in die energetische Sanierung eines Schulgebäudeteils investieren. Auch hier wollen wir der Einfachheit halber folgende Annahmen zugrunde legen:
  1. Die Investitionsmaßnahme beginnt am 01.01.18 und ist am 31.12.18 abgeschlossen.
  2. Die Nutzung beginnt also am 01.01.19.
  3. Es gibt keine Fördermittel oder sonstigen Zuwendungen.
  4. Die Kommune hat keine eigenen Mittel und muss 1 Mio. € durch Aufnahme eines Kredites finanzieren.
  5. Der Zinssatz beträgt 0,1%.
  6. Die Kommune will den Kredit mit 12 Tsd. € pro Jahr tilgen.
  7. Die Nutzungsdauer beträgt 40 Jahre (entspricht einer jährlichen Abschreibung i.H.v. 25 Tsd. €).
  8. Für den Erhaltungsaufwand und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudeteils werden 2 Tsd. € pro Jahr veranschlagt.
  9. Die anderen Ein-/ Auszahlungen (Finanzhaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  10. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit (Ergebnishaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).


Schauen wir uns zunächst die Finanzrechnung an:
  • Es wurde ein Darlehen i.H.v. 1 Mio. € aufgenommen, es erfolgte also eine Einzahlung.
  • Die Investitionsmaßnahme wurde umgesetzt, es wurden also 1 Mio. € ausgezahlt.
  • Da der Kredit am 01.01.18 aufgenommen wurde, fallen bereits für 2018 Zinsen und Tilgung an.
  • Da die Beispielkommune zum 31.12.17 keine liquiden Mittel hatte und auch in 2018 keine weiteren Einzahlungen erfolgten, schließt die Finanzrechnung mit einem Fehlbetrag i.H.v. -13 Tsd. € ab.
Schauen wir uns jetzt die Ergebnisrechnung an:
  • Die bilanziellen Abschreibungen sind im Vergleich zur Bilanz 31.12.17 gleich geblieben. Das ist richtig so, weil die Nutzung der 2018er Investition erst ab 01.01.19 beginnt.
  • Als ergebniswirksame Aufwendungen sind die Zinsen für den aufgenommenen Kredit hinzugekommen.
  • Die Ergebnisrechnung schließt mit einem Fehlbetrag i.H.v. -201 Tsd. € ab.
Die Bilanz zeigt, dass sich durch die energetische Sanierung das Gemeindevermögen von 9,8 auf 10.6 Mio. € erhöht hat (abzgl. 200 Tsd. € Abschreibung des "alten" Sachvermögens). Gleichzeitig ist die allgemeine Rücklage gem. Haushaltssatzung 2017 gesunken und wird auch weiter sinken, weil unsere Beispielkommune auch hier bei der Aufstellung der Haushaltssatzung die Verringerung der allgemeinen Rücklage um 201 Tsd. € vorsehen wird, um weiterhin einen ausgeglichen Haushalt zu erhalten.

Dass unsere Beispielkommune für einen ausgeglichenen Haushalt die allgemeine Rücklage verringern muss, mag unseren Annahmen geschuldet sein.
Die Wahrheit ist aber eher, dass viele Kommunen in NRW seit Jahren einen Haushaltsausgleich nur durch einen "Griff" in die fiktive, allgemeine Rücklage erreichen können, weil die Aufwendungen die Erträge Jahr für Jahr übersteigen.

Und hier liegt u.a. ein wesentliches Problem des NKF.

Ob eine Kommune einen ausgeglichen Haushalt hat, wird eben nur an Hand des Ergebnishaushalts entschieden. Und solange eine Kommune noch in der Lage ist, Fehlbeträge aus dem Ergebnishaushalt durch die Verringerung der fiktiven, allgemeinen Rücklage auszugleichen, ist alles schick.

Es sind zwar immer wieder hehre Ziele wie "Strukturell ausgeglichener Haushalt bis 2020" oder "Haushaltskonsolidierung bis 2020" zu hören, aber viel passiert ist nicht, ist doch das "Polster" der allgemeinen Rücklage in vielen Kommunen noch recht beruhigend. Und "Kirchtumpolitik" trägt das Übrige dazu bei.

Es wird sich nur darauf konzentriert, dass der Fehlbetrag im Ergebnishaushalt nicht gewisse gesetzlich vorgegebene Grenzen übersteigt (siehe § 76 Gemeindeordnung (GO) NRW). Sonst müsste die Kommune nämlich in die Haushaltssicherung. Und das meidet eine Kommune i.d.R. wie der Teufel das Weihwasser. Was wiederum dazu führt, dass Kommunen ihre Vermögengegenstände nicht pfleglich und wirtschaftlich verwalten (s. § 90 Abs. 2 Satz 1 GO NRW).

Mittlerweile ist die Infrastruktur in vielen Kommunen so heruntergekommen, dass immense Aufwendungen im Ergebnishaushalt für die Instandsetzung ( = KEINE Investitionen) erforderlich wären. Diese Aufwendungen würden aber den Ergebnishaushalt derart belasten, dass jegliche Grenzen zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzepts gerissen werden würden.

Bei der ganzen Fokussierung auf den Ergebnishaushalt wird ein entscheidender Aspekt völlig übersehen.

Unserer Beispielkommune fehlen am 31.12.18 bereits 13 Tsd. € in der Kasse. Und das liegt mitnichten an der "Konstruktion" unseres Investitionsbeispiels. Es liegt vielmehr daran, dass viele Kommunen in NRW schlichtweg kein Geld mehr haben und sich das Defizit an liquiden Mitteln immer weiter aufschaukelt, wie ein Blick auf das Jahr 2019 unserer Beispielkommune gleich zeigen wird.

Auch für 2019 wollen wir der Einfachheit halber folgende Annahmen treffen:
  1. Es werden in 2019 keine weiteren Darlehen für Investitionen aufgenommen.
  2. In 2019 stehen keine weiteren Investitionsmaßnahmen zur Umsetzung an.
  3. Die energetische Sanierung des Gebäudeteils erfolgte bis zum 31.12.18. Der Gebäudeteil kann ab 01.01.19 genutzt werden. Damit beginnen die Abschreibungen und es entstehen nun Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudeteils.
  4. Die anderen Ein-/ Auszahlungen (Finanzhaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  5. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit (Ergebnishaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).

Die Finanzrechnung zeigt, dass unsere Beispielkommune mit einem Anfangsbestand von - 13 Tsd. € ins Jahr startet. Durch Zins- und Tilgungszahlungen erhöht sich das Defizit an liquiden Mitteln auf rd. -26 Tsd. €.

Natürlich kann keine Kommune einen solchen Fehlbetrag stehen lassen, weil ja die Auszahlungen erfolgen müssen. Also wird unsere Beispielkommune - wie viele andere Kommunen in NRW - zur Sicherung ihrer Liquidität einen Kassenkredit (in etwa der Dispo im Privathaushalt) aufnehmen.

Um einmal ein Beispiel zu nennen: die Gemeinde Wachtberg (rd. 20.000 Einwohner) beabsichtigt, den Höchstbetrag für Kassenkredite in der Haushaltssatzung 2018 auf 25 Mio. € festzusetzen!

In der Ergebnisrechnung kommen neben den bilanziellen Abschreibungen (225 Tsd. €) und den Zinsen (988 €) nun noch die Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudes i.H.v. 2 Tsd. € dazu.

Apropos "Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb": Obwohl hier § 14 "Investitionen" der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) NRW klare Vorgaben macht, werden in vielen Kommunen in NRW die Folgekosten gerne gänzlich unter den Tisch gekehrt.
Ein klarer Gesetzesverstoß, denn viele Ermächtigungen für Baumaßnahmen dürften gar nicht im Finanzplan veranschlagt werden, weil die für die Dauer der Nutzung entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen nicht ausgewiesen werden!

Bedingt durch die Abschreibungen verringert sich die Bilanzsumme von rd. 10,6 Mio. € (31.12.18) auf rd. 10,3 Mio. €.
Die allgemeine Rücklage verringerte sich per Haushaltssatzungsbeschluss auf 9,6 Mio. €. Und auch in 2019 wird unsere Beispielkommune eine weitere Verringerung der allgemeinen Rücklage vorsehen, um einen ausgeglichenen Ergebnishaushalt zu erreichen (siehe oben).

Was lässt sich zusammenfassend feststellen?

Ja, Investitionen erhöhen bzw. erhalten das Gemeindevermögen, aber auf der anderen Seite belasten weitere Abschreibungen, Zinsen und Aufwendungen für den Erhalt und den Betrieb den Ergebnishaushalt.

Da die Kassen vieler Kommunen "staubtrocken" sind, können Investitionen nur noch mittels Fremdkapital umgesetzt werden. Der Schuldendienst (Zins- und Tilgungszahlungen) ist nur noch durch immer höhere Kassenkredite möglich. Und die Kassenkredite sind schon alleine deswegen so hoch, weil die Auszahlungen die Einzahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit Jahr für Jahr übersteigen.

Und wer bitte tilgt die immensen Kassenkredite? Ist das die "sichere Zukunft" und die viel gepriesene "intergenerative Gerechtigkeit"?

Freitag, 2. März 2018

Die Einwohnerveredelung beim kommunalen Finanzausgleich

Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gibt es die sogenannte "Einwohnerveredelung". Danach erhalten die Kommunen je nach Größenklasse pro Einwohner mehr. Es gilt diese Staffelung:


Macht das Sinn?. In einer großen Stadt leben auf 1 km Straßen weitaus mehr Einwohner als in landlich strukturierten Kommunen. Für die Straßenunterhaltung des 1 Kilometers bekommen somit große Kommunen ein Vielfaches an Landesmitteln. Worauf geht eigentlich diese Bevorzugung der großen Komunen zurück? Was war der Grund?

Die Begründung für die höhere Wertigkeit des Einwohners einer Großstadt stammt noch von 1928. Beispiel:
„...im ländlichen Siedlungsraum bestehe „kein Bedarf an gepflegten Wegen", weil diese nur dazu dienten, die Einwohnerschaft zu einer landwirtschaftlichen Arbeit zu führen, „bei der sie ohnehin keine Anforderungen auf Schutz gegen die Unbilden der Witterung zu stellen gewohnt sind", während in Großstädten oder Industriegemeinden an eine Straße der Anspruch gestellt werde, „dass sie dem Einwohner in möglichst bequemer Form gestattet, die Entfernung zwischen seinem Wohnraum und der Arbeitsstätte zu überwinden, und zwar so, dass auch bei schlechter Witterung keine zeitlichen Hemmungen und keine Nachteile entstehen", so dass aus „dem Landweg, der zum Ackerland führt, (...) die gepflasterte, planmäßig entwässerte, gereinigte und beleuchtete Straße der Stadt" werde"

Ist das heute noch anwendbar? Warum ändert hier die Landespolitik diese längst überkommene Berechnungsmethodik nicht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Verspielt NRW die Zukunft seiner kommenden Generationen?

Risiken und Nebenwirkungen des Neuen Kommunalen Finanzmanagements


Von Rolf Böhmer, Wachtberg.

In der Geschichte Deutschlands hatte Nordrhein-Westfalen immer eine besondere Rolle. Es war das Zentrum der Schwerindustrie. Um seine Braun- und vor allem Steinkohlezechen herum siedelten sich die Stahlkocher an. Krupp und Thyssen prägten das Bild.

Diese Motanindustrie prägte das Ruhrgebiet, den "Ruhrpott". Die Region zog bereits zu Beginn des vori-gen Jahrhunderts, lange vor Spaniern, Italienern und Türken, die ersten "Gastarbeiter an". Bergleute und Handwerker aus Polen. Im "Ruhrpott" findet man heute noch viele Namen, die auf ihre polnische Herkunft hindeuten. Nationalspieler wie die Torhüter Kwiatkowski, Tilkowski oder Szepan oder Koslowski. Seine Funktion als „Schmelztigel der Nationen“ behielt – nachdem aufgrund des Eisernen Vorhanges dem schon traditionellen Fachkräftenachschub aus Polen der Nachzug nicht mehr möglich war, die Region mit dem durch das Wirtschaftswunder der 50iger und zu Beginn der 60iger Jahre bedingten Zuzug von Fachkräften aus Italien, Spanien und der Türkei bei.

Nordrhein-Westfalen, die Region und dabei insbesondere die großen Ruhrgebietsstädte erblühten. Die kommunalen Steuereinnahmen flossen reichlich, die Städte leisteten sich Wohltaten für das Volk. Theater, Museen, Fußballstadien, Schwimmbäder, neue Rathäuser.

Die Politik im Lande und den großen Städten wurde durch die SPD geprägt. Sie hatte jahrzehntelang fast schon ein Monopol auf die Mehrheit im Landtag und den Rathäusern.

Der Niedergang dieser blühenden Wirtschaftsstellung des Ruhrgebiets begann langsam. Aus einem Schneeball sollte eine Lawine erwachsen. Zwischen 1957 und 1969 ging der Anteil der Steinkohle am Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik von 69,8 auf 32,3 Prozent zurück, außerdem stellte neben dem Erdöl auch die staatlich subventionierte Kernenergie im weiteren Verlauf der Bergbaukrise eine zusätzliche Konkurrenz dar. Allein 1963 wurden 13 Zechen geschlossen.

Die Politik im Land und den großen Kommunen reagierte nur sehr zögerlich auf diese Entwicklung. Liebgewonnene Einrichtungen wurden beibehalten, in neue "Leuchtturmprojekte" wurde trotz rückläufiger Einnahmen weiter investiert. Dies hat sich bis heute nicht geändert, wie das Beispiel der Stadt Essen zeigt. Für ihren viertklassigen Verein Rot-Weiß-Essen baut eine städtische Gesellschaft ein neues Stadion. Ursprünglich sollte es 31 Millionen Euro kosten, inzwischen geht man von 64 Millionen Euro aus. Die Stadt Essen ist mit rund 3,4 Milliarden Euro verschuldet. Gut 2 Milliarden Euro davon sind sogenannte "Kassenkredite", vergleichbar dem Kontoüberziehungskredite einer Privatperson. Tendenz steigend. Wer und wann diese "Kontenüberziehung" einmal ausgleichen soll, steht in den Sternen.

Essen ist nur eine von vielen "Spitzen des Eisbergs" im einstmals hochgelobten Wirtschaftswunderland Nordrhein-Westfalen. Zugegeben: die Bewältigung der mit dem Niedergang der Kohleindustrie verbundene Umwälzung des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen war eine Herkulesaufgabe. Eine Aufgabe, die aber viel zu zögerlich angegangen wurde, zumeist wurde von der Politik nicht gestaltet, sondern nur abgewickelt.

Im Zuge dieser Entwicklung gerieten insbesondere die großen Ruhrgebietsstädte in Haushaltsnöte. Die hohe wirtschaftsstrukturelle Bedeutung dieser Region, die Größe der flächendeckend betroffenen Städte und deren überregionale Ausstrahlungswirkung zwang die damalige SPD-Landesregierung zur Einführung des Instruments der "Haushaltssicherung". In seiner Ausarbeitung "Kommunalrechtliche Steuerungsansätze der Haushaltskonsolidierung" kommt René Geißler, Universität Potsdam, zu folgender Bewertung:

"Die umfassende Reform des Gemeindehaushaltsrechts (in NRW) von 1972 geschah unter dem Leitbild des aktiven Staates, welcher mittels öffentlicher Planung und Aufgaben gesellschaftliche Herausforderungen lösen zu können glaubte und eine starke Ausweitung der Budgets zur Folge hatte. Die Gefahren wachsender Staatsverschuldung traten vor dem Hintergrund des Glaubens an Regelbarkeit und Lösungskompetenz der Behörden in den Hintergrund (die heutige Finanzsituation war damals schlicht nicht vorstellbar). Diese Tendenz wurde in NRW durch die Abschwächung des Zieles ausgeglichener Kommunalhaushalte von einer "Muss"- in eine "Soll-Vorschrift" zumindest bestärkt. Dieses Staatsbild wurde ergänzt durch ein keynesianisches, nachfrageorientiertes Wirtschaftsverständnis, welches die entscheidende Quelle wirtschaftlichen Wachstums in öffentlichen Investitionen sah. Der Gedanke, die in der Phase des "deficit spending" aufgehäuften Verbindlichkeiten mittelfristig tilgen zu können, verkannte in grotesker Weise die Rationalitäten der politischen und bürokratischen Akteure sowie die Einflusskraft organisierter Empfänger öffentlicher Leistungen, mit denen sich gerade kommunale Politiker tagtäglich konfrontiert sehen.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war die aufgrund einer Änderung der Gemeindeordnung im Jahre 1994 erfolgte Abschaffung sämtlicher Genehmigungsvorbehalte der Kommunalaufsicht bezüglich der Haushaltssatzungen. Bis dahin musste die jeweils zuständige Kommunalaufsichtsbehörde noch die von den kommunalen Räten in ihren Haushaltssatzungen beschlossenen Höchstbeträge der investiven Kredite sowie der erlaubten Kassenkredite genehmigen.

Diese Genehmigungspflicht viel ersatzlos weg. Der Weg in die Verschuldung, insbesondere hinsichtlich der Kassenkredite war geöffnet und wurde auch, schon fast gnadenlos, genutzt. Zum Jahresende 2014 betrugen diese "Kontenüberziehungskredite" aller Kommunen in der Bundesrepublik noch rund 51 Milliarden Euro. Die nordrhein-westfälischen Kommunen haben hieran den Bärenanteil von gut 26 Milliarden Euro. Auf Einwohnerzahlen umgerechnet war jeder Bürger in NRW mit rund 1.500 Euro belastet, die Bürger in Bayern mit 25 Euro, in Baden Württemberg mit sogar nur 18 Euro. Dass es noch schlechter geht, beweist allerdings das Saarland mit einer Pro-Kopf-Verschuldung in Höhe von 2.100 Euro.

Diese Entwicklung ist Grund für die Frage, wie konnte es dazu kommen, war das unvermeidbar oder sogar "alternativlos"?

Die Beantwortung dieser Frage beginnt mit einem Rückblick:
Ende der 90er Jahre waren die großen Ruhrgebietsstädte sowie eine Vielzahl mittlerer Kommunen in der damaligen kameralen Haushaltssicherung. Sie erhielten staatliche Zuwendungen aus dem Landessäckel, dem sogenannten "Ausgleichsstock". Eine nachhaltige Gesundung dieser notleidenden Kommunen konnte damit allerdings nicht erreicht werden. Im Gegenteil: das Land war gezwungen, immer höhere Zuwendungen den Kommunen zukommen zu lassen. Das fiel angesichts der zunehmenden eigenen Verschuldung immer schwerer. Ein Ausweg aus dieser Spirale wurde gesucht und auch gefunden.

Nordrhein-Westfalen und das Saarland, ebenso ein ehemaliges "Kohlerevier", haben zur Bewältigung des Niedergangs der kommunalen Finanzen parallel ein identisches neues Haushaltsrecht für die Kommunen entwickelt und umgesetzt. Der damalige NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) initiierte ein Pilotprojekt für eine neues Gemeindehaushaltsrecht. Pilotkommunen waren die Städte Brühl, Dortmund, Düsseldorf, Moers und Münster. Innenminister Behrens formulierte es so: „Damit ist der Startschuss für die bundesweit größte Erpro- bung zur Einführung der kaufmännischen Buchführung in das öffentliche Rechnungswesen gefallen“.

Der strukturelle Mangel der Kommunalfinanzierung sollte durch die Umstellung auf das kaufmännische Rechnungswesen behoben werden. Die Kommunen sollten nun wie Wirtschaftsbetriebe handeln und wirtschaften. Ein auf den ersten Blick einnehmender Gedanke. Warum eigentlich nicht?

Der Frage, ob das Wirtschaftssystem von gewinnorientierten Wirtschaftsbetrieben überhaupt auf Kommunen anwendbar ist, wurde nicht wirklich ernsthaft geprüft. Zu groß war die Begeisterung, mit einem total neuen Ansatz die wirtschaftliche Misere der Kommunalfinanzen beheben zu können.

In dem bisherigen kameralen Rechnungswesen spielte das Vermögen einer Kommune keine Rolle. Der alte Haushaltsplan erfasste alle in Geld erfolgenden Einnahmen und Ausgaben, getrennt nach einem Haushalt für den "laufenden Lebensunterhalt", dem Verwaltungshaushalt, und einem Haushalt für Investitionen, dem Vermögenshaushalt. Er war somit ein reiner Geldhaushalt. Das sollte sich nunmehr ändern.

Die neue Überlegung war, dass die Kommunen doch allein aufgrund ihrer Liegenschaften, Kanäle, Straßen, Wege und Plätze über ein großes Vermögen verfügen und man dieses doch unbedingt in die Haushaltswirtschaft einbeziehen müsse. Hierzu trat zum 1.1.2005 in NRW das Gesetz zur Neuen Kommunalen Finanzwirtschaft (NKF) in Kraft. Es verpflichtete alle Kommunen, ihr Rechnungswesen bis spätestens zum 1.1.2009 auf das neue System umzustellen.

Die von der Landesregierung publizierten Hauptziele waren:

  • Weitere Verbesserung der Steuerungsfähigkeit in den Kommunen durch konsequente Pro- duktorientierung und Steuerung über Ziele und Kennzahlen,
  • vom Geldverbrauchskonzept zum Ressourcenverbrauchskonzept: Förderung nachhaltiger Haushaltswirtschaft,
  • Herstellung der intergenerativen Gerechtigkeit und
  • mehr Transparenz im kommunalen Haushalt für die Bürgerinnen und Bürger.

Das NKF-Gesetz führte in den Rathäusern zu einer hektischen Betriebsamkeit. Das gesamte kommunale Vermögen musste erfasst werden. Die Länge und der Zustand der Straßen wurden ermittelt, die Rathäuser, Schulen, Feuerwehrhäuser, Kindergärten wurden von Fachleuten in Augenschein genommen und bewertet. Eine Fülle von Fachaufsätzen überschwemmte die Finanzverantwortlichen in den Rathäusern. Es wurde zum Beispiel darüber diskutiert, für die verschiedenen Schichten des Materialaubaues einer Straße unterschiedliche Abschreibungssätze anzuwenden. Für die Kämmerer und ihre Mitarbeiter war das ein absolutes Neuland. Ein Neuland, das einen bis dahin nicht vorhandenen, millionenschweren Markt für die Branche der Wirtschaftsprüfer schuf. Kaum ein Rathaus, das sich zur Unterstützung dieser Fragen nicht eines Wirtschaftsprüfers bediente. Schließlich mussten ja auch die bis spätestens zum 1.1.2009 zu erstellenden Eröffnungsbilanzen geprüft und von einem Wirtschaftsprüfer testiert werden.

Heraus kam nunmehr für jede Kommune eine eigene Bilanz. Nach kaufmännischen Regeln aufgestellt, wies sie das Vermögen sowie die Schulden aus. Aus dem Saldo von beidem ergab sich das Eigenkapital. "Mit dieser Bilanz können wir getrost zur Bank gehen", war ein geflügelter Spruch stolzer Kämmerer und Bürgermeister.

Es gab und gibt hierzu aber auch kritische Stimmen. In dem Fachbuch von Prof. Dr. Eber-
hard Scheffler "Bilanzen richtig lesen" heißt es: "Das Eigenkapital steht dem Unternehmen i.d.R. auf Dauer zur Verfügung und bildet die Haftungsgrundlage gegenüber seinen Gläubigern".

In die Bilanz eines Unternehmens darf daher nur das Vermögen aufgenommen werden, das im Falle der Liquidation des Unternehmens auch am Markt verwertbar ist. Dieser Grundsatz hat auch in den NKF-Bestimmungen Eingang gefunden. So heißt es in der Kommentierung zum § 33 der Gemeindehaushaltsverordnung NRW, dass in die Kommunalbilanz nur das Vermögen aufgenommen werden darf, das auch verwertbar ist. Ein klarer Fall? Oder etwa nicht.

Die Gemeindeverordnung bestimmt in ihrem § 90, dass die Kommune nur das Vermögen veräußern - also verwerten – darf, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt. Üblicherweise ist dies aber nur zwischen 10 und 20 Prozent. Würde die Kommunen also, streng nach Handelsrecht, nur diese 10 bis 20 Prozent ihres Vermögens als solches in die Bilanz aufnehmen, wäre sie bereits zugleich mit der Bilanzaufstellung überschuldet.

Das konnte und durfte nicht sein. Man musste eine Lösung finden und man fand sie.
Die "Verwertbarkeit" kommunalen Vermögens wurde einer Neudefinition unterzogen. In der
Kommentierung zum § 33 der Gemeindehaushaltsverordnung heißt es:

Darüber hinaus fordert der Gesetzgeber auch die selbstständige Verwertbarkeit der Vermögensgegenstände. Hierzu muss der Gegenstand im Einzelfall nicht tatsächlich veräußerbar sein. Vielmehr reicht die reine Möglichkeit der Einzelveräußerung aus. Es ist also auf die abstrakte, nicht die konkrete Verkehrsfähigkeit abzustellen. Weder muss im Einzelfall eine Nachfrage nach dem Vermögensgegenstand bestehen, noch steht ein gesetzliches oder vertragliches Veräußerungsverbot der selbstständigen Verwertbarkeit entgegen. Damit sind insbesondere auch diejenigen Teile des Infrastrukturvermögens für die kein Markt besteht und die in der Praxis nicht veräußerbar sind (wie z. B. Straßen), selbstständig verwertbar".

Motto: alle Autos sind weiß, alle Autos, die nicht weiß sind, gelten als weiß.

Auf dieser "Gesetzesfiktion" basiert das ganze schöne neue kommunale Haushaltsrecht in NRW. Ein Unternehmer, der auf dieser Basis seine Bilanz aufstellt, kommt ohne weitere Umwege wegen Bilanzbetrugs ins Gefängnis.

Die Kämmerei der Stadt München ist anlässlich der versuchsweisen Aufstellung einer Modellbilanz der Stadt Stadt München zu folgendem Ergebnis gekommen:
"Inhaltlich darf es (das Eigenkapital) nicht so ohne weiteres verglichen werden mit dem Eigenkapitalausweis bei gewinnorientierten privaten Unternehmen. Steht bei Letzteren doch im Regelfall Ertragsüberschüsse bringendes Anlagevermögen auf der Aktivseite, so sehen wir bei einer kommunalen Bilanz in einem hohen Maße zuschussfordernde Einrichtungen im Anlagevermögen. Auf eine kurze Formel gebracht, lässt sich etwas verkürzt und stark den betriebswirtschaftlichen Aspekt betonend sagen: Kommunales Anlagevermögen ist wirtschaftlich eine Last, fordert laufende "Subventionierung" für seinen Betrieb. Es kann auch nicht zum Ausgleich von Liquiditätsbedarfen veräußert werden, da es als gebundenes Vermögen zwingend für die Erledigung kommunaler Aufgaben benötigt wird."

Nur durch dieses "fiktive" Vermögen ließ sich aber überhaupt kommunales Eigenkapital kreieren. Und dieses "Eigenkapital" sollte aber dazu dienen, den in den Neunziger Jahren in der Haushaltssicherung befindlichen Kommunen wieder einen ausgeglichen Haushalt zu ermöglichen und sie damit aus den Zwängen der Haushaltssicherung herauszulösen. Die Kommunen konnten nunmehr ihre jährlichen Haushaltsdefizite einfach durch eine nur buchungsmäßige Verringerung ihres Eigenkapitals fiktiv ausgleichen. Damit waren vorerst alle Finanzprobleme behoben, das Land hatte es kein Geld gekostet, im Gegenteil konnte es ab sofort die Zahlung von Landesmitteln zur Stützung der "Ausgleichsstock-Kommunen" einstellen.

So war allen Seiten gedient. Für die Kommunen begann wieder eine Zeit der kommunalpolitischen Finanzfreiheit, neue Projekte konnten angefasst, Geld ausgegeben werden.
"Honi soit qui mal y pense" – oder "Ein Schuft der Schlechtes dabei denkt". Diese Devise des englischen Hosenbandordens kommt in den Sinn, wer sich näher mit dem Eigenkapitalbegriff auseinander setzt.

Das Eigenkapital besteht in der Hauptsache aus zwei Komponenten:

  • der Allgemeinen Rücklage sowie 
  • der Ausgleichsrücklage.

Die Allgemeine Rücklage ist – vereinfacht gesagt - die Differenz zwischen Vermögen und Schulden.

Die Ausgleichsrücklage ist ein inhaltsloses Nichts. Interessanterweise kennen nur Nordrhein-Westfalen und das Saarland diese "Rücklage". Die Ausgleichsrücklage durfte im Jahr der Eröffnungsbilanz gebildet werden. Sie betrug ein Drittel der Steuereinnahmen und Finanzzuweisungen aus dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre.

Man stelle sich vor, eine Kommune hatte als diesen Durchschnitt 60 Millionen Euro Einnahmen, und zwar in Geld. Der gleiche Betrag wurde zur Bestreitung der Aufgaben aber auch wieder ausgegeben. Trotz dieses geldlichen Null-Saldos wurde nun aber eine "Rücklage" in Höhe von 20 Millionen Euro gebildet und als Teil des Eigenkapitals in die Bilanz aufgenommen. Mit dieser "Rücklage" durfte in den folgenden Jahren dann der Haushalt "ausgeglichen" werden.

Mussten jedoch Defizite, die in echtem Geld entstanden, ausgeglichen werden, wurden diese Defizite durch immer höhere Kontenüberziehung beglichen. Das ist mit einer der Gründe für den exzessiven Anstieg der Kassenkredite bei den nordrhein-westfälischen Kommunen. Als Anhaltspunkt für die Bedeutung einer solchen "Ausgleichsrücklage" mag die Eröffnungsbilanz der Stadt Köln 2008 dienen. Diese weist einen Betrag von gut 614 Millionen Euro auf.

Ein ebenso schwer wiegender Grund liegt auch in der zweiten Rücklage: der neuen "allgemeinen Rücklage". Am 1.1.2008 betrug diese im Falle der Stadt Köln fast 6 Milliarden Euro.

Das alte kamerale Haushaltsrecht kannte ebenfalls die "allgemeine Rücklage". Im Unterschied zum NKF handelte es sich dabei aber um eine Rücklage, die in Geld vorhanden war und zumeist in Form eines Sparbuches geführt wurde. Bereits im Jahre 2005 berichtete der Kölner Stadtanzeiger: "Die allgemeine Rücklage der Stadt ist aufgebraucht…".

Es braucht wenig Fantasie, um zu ermessen, wie Ratsmitglieder, die bereits lange Jahre im Rat der Stadt saßen und wussten, dass es keine Rücklage mehr gab, aus denen sie ihre Wunschprojekte finanzieren konnten, reagierten, als sie in der ersten NKF-Bilanz nun lasen, dass es wieder ein "allgemeine Rücklage" gab und diese sogar fast 6 Milliarden Euro enthielt!

Die Beibehaltung des gleichen, aber wertmäßig total anders belegten Begriffes der Rücklage, führt gewiss nicht zu einer Motivation, mit den Haushaltsmitteln sparsam umzugehen.

Die kommunalpolitische Bewegungsfreiheit, welche die Einführung des neuen Finanzmanagements eröffnete, wurde demzufolge auch fleißig genutzt. Haushaltsdefizite konnten mittels der allgemeinen Rücklage ausgeglichen werden. Allerdings nur auf dem Papier. Zum Ausgleich der in Geld entstandenen Defizite mussten wiederum Kassenkredite in Anspruch genommen werden. Wie ist dies zu erklären? Warum kann ein Haushalt durch eine "Rücklage", in der aber kein Geld ist, ausgeglichen werden, nicht jedoch ein in Geld vorhandenes Defizit?

Der alte, kamerale, Haushalt kannte zwei Haushaltsteile: den Verwaltungs- und den Vermögenshaushalt. Die dort aufgeführten Beträge waren in beiden Fällen Geldbeträge. Der Gesamthaushalt war dann ausgeglichen, wenn die beiden Teilhaushalte jeweils auch ausgeglichen waren. War ein Haushalt also insgesamt ausgeglichen, so hielten sich auch die in Geld vorzunehmenden Zahlungen in Einnahme und Ausgabe in der Waage.

Dies ist im neuen NKF-Haushalt nicht so. Auch er kennt zwei Haushaltsteile: den Ergebnis- und den Finanzhaushalt. Der Ergebnishaushalt enthält kein Geld. Er ist ein reiner buchmäßiger Haushaltsplan. Er kennt keine Einzahlungen oder Auszahlungen, in ihm geht es um Erträge und Aufwendungen. Die Zahlungen erfolgen ausschließlich über den zweiten Haushalt, den Finanzhaushalt.

Maßgebend für die Frage, ob ein Haushalt ausgeglichen ist oder ein Defizit hat und gegebenenfalls sogar die Haushaltssicherung droht, ist ausschließlich der geldlose Ergebnishaushalt. Sie erinnern sich? Einer der publizierten Hauptgründe für die Einführung des neuen Systems die Herstellung von mehr Transparenz für Bürgerinnen und Bürger. Tatsächlich kennt kaum ein Bürger, ja sogar kaum viele Ratsmitglieder diesen wichtigen Unterschied.

Die Schaffung des geldlosen Ergebnishaushalts wurde mit der Herstellung der "Intergenerativen Gerechtigkeit" begründet. In dem Haushalt soll der sogenannte "Ressourcenverbrauch" dargestellt werden. Konkret: alle Belastungen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf die Kommune zukommen, sind im Haushalt abzubilden. Dabei handelt sich sie vorwiegend um die Pensionsverpflichtungen für die Kommunalbeamten sowie den Erhalt des kommunalen Vermögens. Dieser soll durch die Abbildung von Abschreibungen dargestellt werden. "Dargestellt" bedeutet jedoch nicht "sichergestellt". Ein "Sicherstellen" des Erhalts des vorhandenen Vermögens, also der Liegenschaften, Straßen usw. mittels des Ansparens von Geld in echten Rücklagen, aus denen dann später die notwendigen Instandsetzungen finanziert werden können, ist mit den NKF-System weder gemeint noch beabsichtigt. Der Eindruck bei den meisten Ratsmitgliedern sowie Bürgerinnen und Bürgern ist aber ein anderer. Sie nehmen noch immer an, dass in den Pensionsrückstellungen sowie Instandhaltungsrückstellungen das Geld ist, um eines Tages darauf die Pensionen bzw. Instandsetzungsmaßnahmen bezahlen zu können. Weit gefehlt.

Der vom Land vorgeschriebene amtliche Kontenplan sieht nur im geldlosen Ergebnishaushalt Ausgabepositionen für Abschreibungen und Zuführungen zu Pensions- und Instandhaltungsrückstellungen vor. Im Geldplan, dem Finanzplan, existieren solche Positionen nicht.

Daraus ist zu ersehen, dass die Erwirtschaftung sowie das Zurücklegen von Geldmitteln zur Absicherung späterer Ausgabenrisiken nicht vorgesehen ist. Die Sicherstellung der "Intergenerativen Gerechtigkeit" – mit anderen Worten: die kommenden Generationen sollen nicht für heute gemachte Verbindlichkeiten aufkommen – wird also nur fiktiv "sichergestellt".

Richtigerweise ist dann auch bezüglich der Rückstellungen und Abschreibungen in den Kommentierungen zum Haushaltsrecht nur von einer "Darstellung" bzw. vom "Abbilden" dieser künftigen Haushaltsrisiken zu lesen.

Der Eindruck in den Räten und in der Bevölkerung ist aber ein anderer. Die richtige Bewertung des neuen Systems bringen nur wenige Kommunalpolitiker zu Sprache. Einer von ihnen ist der damalige Bürgermeister der Stadt Übach-Palenberg, Wolfgang Jungnitsch. Dieser schrieb in seiner Haushaltsrede 2011:
"Wir hatten bis zur Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements, also in der Welt der kameralen Haushaltsführung, immer einen ausgeglichenen Haushalt. Mit der Einführung des NKF wurde das anders. Spezielle Merkmale des NKF sind, dass die Liegenschaften der Stadt aufgenommen und bewertet werden mussten, Abschreibungen generiert werden müssen, Pensionsrückstellungen gerechnet werden müssen usw. In der Summe, und dies habe ich mal an den Nettozuschusskosten für einen Schüler in unserer Stadt errechnen lassen, ist eine erhebliche Verteuerung alleine durch den Finanzsystemwechsel bedingt erfolgt! So kostete uns ein Schüler der ca. 3.500 Schüler in unserer Stadt in der kameralen Welt durchschnittlich ca. 1.000 Euro pro Jahr Zuschuss, nach der Einführung von NKF ohne jegliche Leistungsveränderung ca. 1.200 Euro. Also eine 20%ige Steigerung der aufzubringenden Mittel, nur durch die Änderung des Finanzsystems! Und - welches Privatunternehmen könnte eine schlagartige Kostensteigerung von 20% problemlos verkraften? Wobei private Unternehmen immer noch die Möglichkeit haben, die Preise anzupassen. Dies ist im öffentlichen Bereich nur sehr eingeschränkt möglich!"

Der Bürgermeister der Stadt Dorsten bringt seine Enttäuschung über das neue Finanzmanagement in seiner Rede zum Haushalt 2011 zum Ausdruck:
"Bereits seit Jahren wurde immer wieder betont, dass das NKF "nur" eine Änderung des
Rechnungsstils bewirkt, hierdurch aber kein zusätzliches Geld in die Kasse kommt.
Aber die Fehlbeträge der Verwaltungshaushalte der vergangenen Jahre sind damit nicht aus der Welt. Sie werden nun lediglich nicht mehr als "Fehlbeträge" ins neue Jahr vorgetragen,
sondern belasten als Liquiditätskredite die Bilanz.
Denn die Fehlbeträge stehen nicht nur auf dem Papier, sondern mussten auch mit Liquiditätskrediten finanziert werden.
Die angehäuften Fehlbeträge sind somit keineswegs "erledigt" oder verschwunden.
Die Umstellung auf NKF ist eben kein Neustart und ist somit auch keine Chance, die Haushaltswirtschaft unter anderen Rahmenbedingungen weiterzuführen. Eine Finanzreform, die den Städten hilft, ist das NKF nicht!"

Die Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen mit seinem kommunalen Finanzmanagement das Gegenteil der eigentlich angestrebten Entlastung kommender Generationen erreicht, wird am Beispiel der Pensionsvorsorge besonders deutlich. Im Jahre 1994 beschloss die damalige Parlamentsmehrheit der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag das "Versorgungsfondsgesetz". Es trat am 1.4.1994 in Kraft. Die Kommunen wurden verpflichtet, in den folgenden Jah- ren einen stetig steigenden Betrag in einen Versorgungsfonds einzuzahlen. Damit wurde der richtige Weg in die Schaffung einer kapitalgedeckten Versorgungsrücklage beschritten. Aus diesem Fonds sollten dann die späteren Pensionszahlungen geleistet werden.

Mit der Einführung des neuen Finanzmanagements änderte sich dies. In der Kommentierung zum § 88 der Gemeindeordnung heißt es nunmehr: "Die bislang aufgrund des bestehende Pflicht der Gemeinden, zur Sicherung ihrer Versorgungsaufwendungen eine Sonderrücklage zu bilden ist mit der Einführung des NKF entfallen Die Pensionslasten werden nunmehr als Rückstellungen unmittelbar auf der Passivseite der Bilanz abgebildet".

Auf Deutsch gesagt: die sachgerechte und notwendige Absicherung der späteren Pensionszahlungen erfolgt nicht mehr durch das Ansparung des dafür notwendigen Kapitals, sondern nur noch durch "Abbildung" auf der Passivseite der Bilanz. Die Zahlungen in den Versorgungsfonds entfielen.

Der Verwaltungsrechtler Dr. Christian Magin von der Verwaltungshochschule Speyer kommentiert dieses Vorgehen wie folgt:
"Eine buchungstechnische Rückstellung ist nämlich - anders als im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet - kein „Zurücklegen von Geld für spätere Zwecke". Sie ist lediglich ein Passivposten auf der rechten Seite der Bilanz. Dieser Passivposten hat keinen eigenständigen Wert. Er weist lediglich darauf hin, dass in Zukunft monetäre Belastungen in seiner ungefähren Höhe auftreten können".

Bei den nach dem neuen Finanzsystem vorzunehmenden Aufwendungen für Pensionsrückstellungen wird also, wie für Abschreibungen, kein Geld zurückgelegt, sondern lediglich auf dieses spätere Risiko "hingewiesen". Damit sollen die kommenden Generationen von heute bereits veranlassten und später zu finanzierenden Belastungen verschont werden!

Es ist davon auszugehen, dass es die damalige Landesregierung nur darauf abgesehen hatte, mit der Einführung des neuen Finanzmanagements Zeit zu gewinnen, anstatt die damals bereits vorhandenen Probleme der kommunalen Unterfinanzierung effektiv und nachhaltig zu lösen. Zeitgewinn auf Kosten der kommenden Generationen, mithin genau das Gegenteil von dem, was als Begründung für die Umstellung des Buchungssystems angeführt wurde. Man kann hier durchaus berechtigt von einer "Vogel-Strauß-Politik" sprechen.

Diese Strategie des "Zeitgewinnens" setzte sich in den kommenden Jahren fort.
Bis zum Jahre 2011 mussten Kommunen, die sich in der Haushaltssicherung befanden, in einem Haushaltssicherungskonzept durch entsprechende Maßnahmen – zumeist Einsparungen und Steuererhöhungen – darstellen, dass sie innerhalb von 4 Jahren den Haushaltsausgleich wieder erreichen. Für viele dieser Kommunen war dies seriös nicht möglich, so dass die Aufsichtsbehörden im Jahre 2011 nur 33 von 177 Haushaltssicherungskonzepten genehmigen konnten.

Vor diesem Hintergrund wurde durch eine kleine Gesetzesänderung wieder einmal auf den Zeitgewinnungsfaktor gesetzt. Die Vierjahresfrist wurde auf 10 Jahre verlängert. Für den Fall, dass auch diese 10 Jahre nicht ausreichen sollten, wurde vorsichtshalber bereits eine Hintertür eingebaut: im Einzelfall darf mit Zustimmung der jeweiligen Bezirksregierung auch ein längerer Zeitraum genehmigt werden.

SPD-Innenminister Jäger verkündete ein Jahr später den Erfolg der Maßnahme:
"Die Haushaltssituation der Gemeinden hat sich im Jahr 2012 deutlich verbessert. Von den von 175 Gemeinden aufzustellenden Haushaltssanierungsplänen nach dem Stärkungspaktgesetz (61) oder Haushaltssicherungskonzepten nach der Gemeindeordnung konnten 146 genehmigt werden. Im Jahr 2011 hingegen konnten von 177 Haushaltssicherungskonzepten nur 33 genehmigt werden".

Jedem Kaufmann, Unternehmer, Banker, aber auch jedem Privatmann ist klar, dass es faktisch unmöglich ist, belastbare Aussagen über die Entwicklung von Preisen, Löhnen, der Konjunktur und der Entwicklung der Steuereinnahmen für einen Zeitraum von 10 Jahren zu machen. Nach dem Willen der verantwortlichen Politiker ist dies aber die Basis für die Kommunalfinanzen.

Einen zusätzlichen Versuch, der Optik halber die Zahl der in der Haushaltssicherung befindlichen Kommunen entscheidend zu senken, unternahm die NRW-Landesregierung im Jahre 2012. Sie brachte des 1.NKF-Weiterentwicklungsgesetz in den Landtag ein. Darin war u.a. vorgesehen, die Grenze für den Eintritt der Haushaltssicherung zu ändern. Durften bislang die Kommunen sanktionsfrei jährlich 5 % ihrer Allgemeinen Rücklage zum Zwecke des Haushaltsausgleichs verbrauchen, sollte nunmehr diese Grenze auf 10 % verdoppelt werden. Auf die Stadt Köln angewendet hätte dies zur Folge gehabt, dass statt 300 Millionen Euro nunmehr 600 Millionen Euro aus der Rücklage sanktionsfrei hätte verbraucht werden dürfen. Diese "kleine Differenz", also das Verdoppeln der Sanktionsgrenze, wurde von der Landesregierung in ihrer Gesetzesvorlage wie folgt begründet:
"Zur besseren Handhabbarkeit und aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist die Bestimmung über die Höhe der Bagatellgrenze für die vorgesehene Verringerung der allgemeinen Rücklage, die als gesonderter Bilanzposten im bilanziellen Eigenkapital anzusetzen ist, neu festgelegt worden".

Der Gesetzentwurf wurde jedoch kurz nach seiner Einbringung wieder zurückgezogen. Zur Verabschiedung kam es nicht. Eine Verabschiedung hätte im Falle der Stadt Köln bedeutet, dass ein Betrag in Höhe von 600 Millionen Euro als "Bagatelle" zu gelten gehabt hätte. Das war wohl dann doch nicht gewollt.

Die Zeche zahlen, wie immer, die Bürgerinnen und Bürger. Der Indikator für diese unrealistische, die vorhandenen Probleme ignorierenden Finanzpolitik ist neben den explodierenden Schulden für Kassenkredite auch die Entwicklung der Grundsteuer B in Nordrhein-Westfalen. Die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens durch die Grundsteuer B lag im Jahre 2014 bereits bei 501 Prozentpunkten, während Länder wie Bayern, Baden Württemberg, Brandenburg und Rheinland Pfalz nur unter 400 Punkten lagen.

Aktuell besonders viel verlangen in NRW Städte wie Altena (910 Punkte), Hattingen (875 Punkte), Overath (899 Punkte), Selm (820 Punkte), Welver (907 Punkte) und Bergneustadt (959 Punkte). Tendenz steigend.

Die Erhöhung der Grundsteuer B ist auch immer eine soziale Frage. Jede Bürgerin, jeder
Bürger ist von ihre unmittelbar betroffen. Der Vermieter legt die Grundsteuer auf die Miete um, der Eigenheimbesitzer zahlt sie sowieso. Sozial- und Einkommensschwache leiden besonders. Angesichts der sich stetig ausweitenden Altersarmut von Rentnern und Rentnerinnen trifft sie diesen Personenkreis besonders.

Da wird der Ruf nach einer Grundsteuerbremse laut. Eigentlich ein Thema für sozialdemokratische Politiker. Es ist kaum zu erwarten, dass diese sich dem Thema annehmen. Bevorzugen sie doch, wie sie es mit der Einführung den Neuen Kommunalen Finanzmanagements in Nordrhein-Westfalen gezeigt haben, Probleme auf die Zukunft und damit die kommenden Generationen zu verschieben, anstatt ihre Lösung hier und heute anzugehen.